Was untersucht man bei einer sprachlichen Textanalyse?
Lateinische Texte können in ihrem Aufbau und der inhaltlichen Struktur sehr vielschichtig sein. Eine gute Methode, sich einen Text schon vor dem Übersetzen grob zu erschließen, besteht darin, Sach- und Wortfelder aus dem Text herauszuarbeiten. Es werden verwendete Wörter übersichtlich zusammengestellt, etwa in einer Mindmap. Dann kann man schnell das Thema eines Textes erfassen und sich das Übersetzen leichter machen.
Auch ein Blick auf die verwendeten Pronomen kann sich lohnen. Manchmal hat man das Gefühl, das Lateinische hätte tausend Wörter für dieser, diese, dieses. Würde da nicht eines reichen? Es ist nicht ganz so einfach: Die lateinischen Pronomen haben nämlich feine, aber entscheidende Unterschiede in der Bedeutung. Zum Beispiel:
- hic – dieser: jemand, der nah am Sprecher ist
- iste – dieser dort, der da: jemand, der entweder weit weg vom Sprecher ist oder den der Sprecher nicht leiden kann
- ille – jener/der berühmte: jemand, der weit weg ist oder berühmt ist
Was ist Metrik?
Metrik ist das Fachwort für Versmaß. Wenn man im Lateinunterricht Dichtung liest, dann kommt man um Metrik nicht herum. Lateinischen Gedichte der Antike sind nämlich nicht durch Reime, sondern durch Metrik gekennzeichnet. Darunter versteht man eine bestimmte Abfolge von langen und kurzen Silben. Sie bestimmt auch, wo die Betonungen für das Lesen liegen. Diese können von der Betonung abweichen, mit der man lateinische Texte normalerweise liest.
Viele weitere Hinweise zur Untersuchung von Längen und Kürzen in der Poesie findest du im Lernweg Metrik. Alles rund um Aussprache und Betonung im Lateinischen erklären wir dir auf der Übersichtsseite Latein lesen.
Was sind Stilmittel?
Stilistische Mittel sind eine besondere Form der sprachlichen Gestaltung. Durch solche sprachlichen Mittel können Texte auf Bedeutungs- und Klangebene vom Verfasser bewusst ausgestaltet werden. Für den Leser gilt es herauszuarbeiten, was durch die Gestaltung bewirkt werden sollte. Wir nehmen ein berühmtes Zitat des römischen Feldherrn Gaius Julius Caesar als Beispiel: Veni, vidi, vici. – Ich kam, ich sah, ich siegte. Hier gibt es (neben anderen) drei sprachlich-inhaltliche Auffälligkeiten:
- Alliteration: Aufeinanderfolgende Wörter beginnen mit demselben Buchstaben (v-)
- Trikolon: Bewusste Einteilung in drei Glieder (1. Veni, 2. vidi, 3. vici.)
- Klimax: Eine Reihe, die sich inhaltlich steigert (ich siegte (vici) ist der „Gipfel“ der Klimax)
Diese besonders kurze, aber prägnante Wortwahl lässt vermuten, dass Caesar seine Stärke und Schnelligkeit als Feldherr unterstreichen wollte.
Eine Übersicht über die rhetorischen Mittel und weitere Erklärungen zur Analyse sprachlicher Gestaltung findest du im Lernweg Stilmittel.
Warum Sprache in Texten analysieren?
Die meisten lateinischen Stilmittel gehen in der Übersetzung verloren. Dadurch kann ein Text einiges an Wirkung einbüßen. Ovid schrieb zum Beispiel im sechsten Buch der Metamorphosen über Tereus, der – ohne es zu wissen – seinen eigenen Sohn aß: vescitur viscera. Er isst das Fleisch. Es gibt viel gebräuchlichere lateinische Wörter für essen und Fleisch. Aber durch die bewusste Wahl der Wörter vescitur und viscera, die gleich anklingen und beide einen harten, zischenden sc-Laut enthalten, unterstützt Ovid lautmalerisch die schaurige Handlung.
Es geht bei einer sprachlichen Textanalyse nicht darum, Metaphern und andere Stilmittel zu benennen, sondern vielmehr darum, ein Verständnis für Sprache zu entwickeln und zu untersuchen, warum genau diese Sprache für einen bestimmten Inhalt gewählt wurde. Deshalb sprichst du wahrscheinlich auch in anderen Fächern über Sprache und ihre Wirkung: Deutsch, Englisch, Französisch ... und eben auch im Lateinischen, einer Kultur, wo orator zu sein als Beruf galt. Sprache bewusst wahrnehmen und untersuchen hat noch weitere Vorteile: Man lernt, sprachliche Darstellung und ihre Wirkung kritisch zu hinterfragen.