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Welche natürlichen Längen und Kürzen gibt es in Latein?

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Natürliche Längen und Kürzen

Wie du einen Hexameter metrisch analysierst

Schritt-für-Schritt-Anleitung

Aufgabe

Analysiere folgende Hexameter aus Ovids Metamorphosen metrisch.

[...]
ipsaque dilatant patulos convicia rictus,
terga caput tangunt, colla intercepta videntur,
spina viret, venter, pars maxima corporis, albet,             
limosoque novae saliunt in gurgite ranae.

(Ovid, Met. 6, 378-381)

Das musst du wissen

Der Hexameter ist ein lateinisches Versmaß, das vor allem in Heldengeschichten verwendet wurde. Ein Hexameter (griech.: hexa = sechs) besteht aus sechs 'Versfüßen', die sich aus Längen und Kürzen zusammensetzen. Er hat folgendes Grundschema:

L_Hexameter_Schema

 

 

Die ersten vier Versfüße bestehen aus Daktylen (einer Länge und zwei Kürzen) oder Spondeen (zwei Längen). Die senkrechten Striche im Schema markieren das Ende der Versfüße. Jeweils die erste Silbe eines Fußes ist betont; dafür wird über dem Vokal der Silbe ein Akzent (ést) eingezeichnet.
Die Betonung des vorletzten und des letzten Versfußes ist immer gleich: Das „x“ im letzten Versfuß bedeutet, dass diese Silbe lang oder kurz sein kann (syllaba anceps) – das braucht man nicht zu bestimmen.

Du solltest dir eine gewisse Reihenfolge merken, um Verse metrisch zu analysieren und Längen und Kürzen über den Vokalen einzuzeichnen:

  1. Elisionen markieren: Wenn ein Wort auf einen Vokal oder Vokal + -m endet und das darauffolgende Wort mit einem Vokal oder h- beginnt, so wird die Silbe am Wortende gestrichen, z. B. forma ingensforma ingens, sprich form-ingens“; monstrum horrendum → monstrum horrendum, sprich „monstr-orrendum“. Zeichne einen kleinen Bogen ein, der zeigt, dass die beiden Worte zusammengesprochen werden.
    Aber: Ist das zweite Wort es oder est, wird ausnahmsweise der Anfangsbuchstabe e- gestrichen, nicht die Endung des vorhergehenden Wortes: forma est forma est, sprich forma-st“. Der Fachbegriff dafür lautet Aphärese.
  2. Feste Längen und Kürzen einzeichnen: 
    - Der erste Vokal im Vers ist immer lang und betont. (1. Versfuß)
    - Die letzte Silbe im Vers bekommt immer ein „x“. Die vorletzte Silbe erhält einen langen Strich mit einem Betonungszeichen. (6. Versfuß)
    - Jetzt von hinten nach vorne denken: Die zwei Silben vor der vorletzten erhalten zwei Kürzen; davor steht noch eine betonte Länge. (5. Versfuß)
  3. Natürliche Längen und Kürzen einzeichnen:
    - Einige Wörter haben Naturlängen, die in deinem Buch und im Lexikon durch einen waagerechten Strich über dem Vokal gekennzeichnet sind, z. B.: sīc.
    Naturlange Vokale sind z. B. Diphthonge (Doppelvokale wie -āē-), Akk. Pl. (-ās, -ōs, -ēs), Dat./Abl. Pl. (-īs), o-Dekl. Dat. Sg. (-ō), Abl. Sg. (außer -e der kons. Dekl.), Imperativendungen im Sg. (laudā)
    - Als natürliche Kürzen kannst du dir z. B. merken: o-Dekl. n. Nom./Akk. Pl. (-ă), a-Dekl. Nom. Sg. (-ă), kons. Dekl. Abl. Sg. (-ě), Vokal vor Vokal (běatus, pŭer), die angehängte Konjunktion -quě, die Infinitivendung im Präsens Aktiv (audirě).
  4. Positionslängen: Längen können durch ihre Position im Wort zustande kommen, nämlich dann, wenn auf einen Vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen: z. B. ntēntus. Das gilt in einem Fließtext auch über die Wortgrenzen hinaus, z. B.: apūd Grāēcōs. Der Buchstabe h zählt hierbei nicht als Konsonant, x (→ c+s) aber wird als zwei Konsonanten gewertet.
    Ausnahme: Vor einer Kombination aus b/p/c/k/qu/g/d/t und l/m/n/r kann der Vokal auch kurz sein: ctor. Diesen Fall nennt man Muta-cum-Liquida-Regel. 
    Hinweis: Ein -u- hinter q- (z. B. quis) zählt nicht als Vokal.

Ein Hexameter hat immer eine Zäsur, das entspricht einer Atempause. Die Zäsur befindet sich meist hinter dem fünften Halbfuß, weswegen man sie als Penthemimeres (griech.: penta = fünf) bezeichnet. Sie wird durch zwei senkrechte Striche gekennzeichnet (||). Oft steht an dieser Stelle im Text ein Komma. An dieser Stelle holst du einmal Luft und liest dann weiter. Sollte die Penthemimeres allerdings mitten in ein Wort fallen, musst du eine andere Zäsur setzen, nämlich die Hephthemimeres nach dem siebten Halbfuß. Zur Hephthemimeres tritt oft noch die sogenannte Trithemimeres nach dem dritten Vershalbfuß. In diesem Fall hat der Vers dann zwei Zäsuren.

Schritt 1: Bestimme Elisionen

Wenn ein Wort auf einen Vokal oder Vokal + -m endet und das darauffolgende Wort mit einem Vokal oder h- beginnt, so wird die Silbe am Wortende gestrichen.

ipsaque dilatant patulos convicia rictus,
terga caput tangunt, colla intercepta videntur,
spina viret, venter, pars maxima corporis, albet,             
limosoque novae saliunt in gurgite ranae.

Schritt 2: Markiere feste Längen und Kürzen

Gehe versweise vor. In jedem Vers markierst du die erste Silbe lang und betont. Danach gehst du von hinten nach vorn vor: Setze ausgehend vom Versende die vorgegebenen Markierungen, die immer gleichbleiben.

Hexameter_2

 

Schritt 3: Zeichne natürliche Längen und Kürzen ein

  1. ipsaque dilatant patulos convicia rictus,
    Das -o- in der Endung von patulos muss lang sein, weil es sich um einen Akkusativ Plural handelt. ipsa bezieht sich auf convicia, steht also im Neutrum Plural, weshalb die Endung kurz sein muss. Auch que ist natürlicherweise immer kurz. 
  2. terga caput tangunt, colla intercepta videntur,
    terga kommt von tergum, -i, ist also ein Neutrum im Plural, weshalb das Endungs-a natürlicherweise kurz ist.
  3. spina viret, venter, pars maxima corporis, albet,           
    spina und maxima gehören zusammen. Weil sie im Nominativ Singular stehen, ist das auslautende -a kurz. 
  4. limosoque novae saliunt in gurgite ranae.
    Die Endung -ae von novae ist lang, weil es sich um einen Diphthong handelt. Außerdem ist das hintere -o von limosoque lang, da es sich um den Ablativ Singular handelt. Wegen der Vokal-vor-Vokal-Regel muss das -i- in saliunt kurz sein. Das angehängte -que ist natürlicherweise immer kurz.
Hexameter-3

 

Schritt 4: Markiere die Positionslängen 

Positionslang sind Silben, auf die mehrere Konsonanten folgen. Das gilt auch über die Wortgrenzen hinaus. Beachte aber die Muta-cum-Liquida-Regel. Die positionslangen Silben sind blau markiert.

Hexameter

 

Schritt 5: Leite die restlichen Längen und Kürzen ab und setze die Betonungen

Betont wird jeweils immer die erste Länge eines jeden Versfußes; markiere sie mit einem Akzent. Da es immer sechs betonte Längen in einem Hexameter geben muss, leitest du die restlichen Längen und Kürzen per Ausschlussprinzip ab: Folgt auf eine betonte Länge eine weitere Länge, muss danach wieder eine betonte Länge stehen. Eine Kürze kann nie alleinstehen: Sie muss immer eine zweite Kürze vor oder hinter sich haben, dann folgt wieder eine betonte Länge.

Hexameter-5

 

Für die Zäsur zählst du den fünften Halbfuß ab, das heißt, du zeichnest nach der dritten betonten Länge einen Doppelstrich ein, wenn dort ein Wortende ist.

Hexameter-5-2

 

Lösung

Tipp: Hol beim Vorlesen an der Stelle der Zäsur Luft und verweile bei den Betonungen, die ja auch immer Längen sind, ein bisschen länger als bei den anderen Silben.

Hexameter-5-2