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Andere Bezeichnung:  Fall

 

Über das Wort „Kasus“

Genus, Betonung:  der Kasus
Plural:  die Kasus (Singular und Plural werden gleich geschrieben, doch muss das u im Singular kurz, im Plural lang gesprochen werden, nach dem Vorbild der lateinischen ū-Deklination: Nom.Sg. cāsŭs, Nom.Pl. cāsūs)
Abkürzung:  —
Herkunft:  von lat. cāsus Fall  (wörtliche Übersetzung von griechisch ptôsis Fall. Das Wort ist eine Metapher (= bildlicher Ausdruck) nach dem Fall des Würfels im Würfelspiel: Die Würfel des Altertums hatten nur vier Seiten mit den Zahlen 1 bis 4. So wie ein und derselbe Würfel je nach „Fall“ immer einen von vier möglichen Werten zeigte, zeigt auch ein und dasselbe Nomen je nach Gebrauch im Satz immer einen von vier möglichen „Werten“, nämlich einen der vier „Fälle“ Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ. Der Vokativ wurde nicht als Kasus gerechnet; Ablativ und Lokativ hat das Griechische nicht.)

 

Definition

„Kasus“ ist eine Dimension der Deklination (= der Flexion der Nomen). Unter „Kasus“ versteht man eine grammatische Eigenschaft eines Wortes, die
• durch Deklinationsendungen ausgedrückt wird und daher veränderlich ist und
• die Funktion des mit dem Wort beschriebenen Gegenstands im Satz anzeigt.

 

Ausdruck

(1)  Ein Kasus wird nicht für sich allein in einer immer gleichen Deklinationsendung ausgedrückt, sondern jede einzelne Deklinationsendung drückt eine Kombination aus Kasus + Numerus (beim Substantiv) oder aus Kasus + Numerus + Genus (bei Adjektiv und Pronomen) aus. Daher sieht z.B. die Akkusativ-Endung eines Wortes im Singular völlig anders aus als im Plural, z.B.:
÷ Akk.Sg.:  Pingō circul-um magn-um. Ich zeichne ein-en groß-en Kreis-_. („Kreis“ hat hier eine leere Endung.)
   Akk.Pl.:  Pingō circul-ōs magn-ōs. Ich zeichne groß-e Kreis-e.

(2)  Außerdem ist die Deklinationsendung, die einen bestimmten Kasus ausdrückt, verschieden, je nachdem, welchem Deklinationstyp das Wort angehört; z.B.:
÷ Dativ Singular (bei maskulinen Substantiven):
   — ō-Deklinationvir-ō dem Mann,
   — ā-Deklination:  incol-ae dem Bewohner,
   — konsonantische/gemischte Deklinationhomin-ī dem Menschen.

 

Funktion

(1)  Ein Kasus dient zwar dazu, die Funktion des Gegestands im Satz zu bezeichnen, doch sind alle Kasus für mehrere, teils völlig verschiedene Funktionen zuständig; z.B.:
÷ Cūnctandō perdidimus ūnum annum. Durch Zögern haben wir ein Jahr verloren.
Hier hat der Akkusativ die Funktion eines Akkusativ-Objekts (Komplement) auf die Frage „Wen oder was (haben wir verloren)?“.
÷ Vīximus in urbe ūnum annum. Wir haben ein Jahr (lang) in der Stadt gelebt.
Hier hat der Akkusativ die Funktion einer Angabe der Zeitdauer (Supplement) auf die Frage „wie lange?“.

(2)  Die Funktionen der Kasus stimmen zwischen den Sprachen nur teilweise überein. Daher muss ein lateinischer Kasus im Deutschen oft anders übersetzt werden. Z.B.:
÷ Ō virum stultum! Oh was für ein dummer Mann!
Hier drückt der lateinische Akkusativ in einem emotionalen Ausruf den Grund der Empfindung aus. Da eine solche Funktion dem deutschen Akkusativ fehlt, müssen wir bei der Übersetzung zu einer völlig anderen Formulierung greifen, die den Gegenstand im Nominativ enthält.

(3)  Auch bei gleicher Funktion ist der Anwendungsbereich eines Kasus in beiden Sprachen oft verschieden. Auch in solchen Fällen muss ein lateinischer Kasus im Deutschen anders übersetzt werden. Z.B.:
÷ Hodiē in urbem vēnī. Heute bin ich in die Stadt gekommen.
÷ Hodiē Rōmam vēnī. Heute bin ich nach Rom gekommen.
In beiden Sätzen drückt der lateinische Akkusativ das Ziel der Bewegung aus auf die Frage „wohin?“:
• Im ersten Satz steht der Akkusativ (urbem die Stadt) nach Präposition (in in). Hier hat der Akkusativ im Deutschen die gleiche Funktion wie im Lateinischen („in wen oder was?“), sodass eine formgleiche Übersetzung möglich ist.
• Im zweiten Satz steht der lateinische Akkusativ (Rōmam nach Rom) in derselben Funktion, aber ohne Präposition; bei Städtenamen ist eine Präposition nicht erforderlich. Das lässt sich im Deutschen nicht nachmachen, da wir für das Ziel einer Bewegung immer eine Präposition verwenden. In diesem Fall brauchen wir die Präpositon „nach“, die sich mit Dativ („nach wem?“) verbindet.
Warum im Deutschen hier das Ziel der Bewegung plötzlich im Dativ stehen muss, hat keinen logischen, sondern einen etymologischen (= sprachgeschichtlichen) Grund. Im Sprachsystem des heutigen Deutsch kann man diese Verwendung nur als Unregelmäßigkeit betrachten. Ähnliche Unregelmäßigkeiten finden sich auch im Lateinischen in großer Zahl.

(4)  Der Kasus dient auch zum Ausdruck der Kongruenz, also um zu klären, welche Wörter im Satz denselben Gegenstand beschreiben.

 

Bestand an Kasus

Im Deutschen verfügen wir über vier verschiedene Kasus: Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ.
Das Lateinische besitzt außer den vier deutschen Kasus drei weitere: Ablativ, Vokativ und Lokativ.
Die sieben lateinischen Kasus erklären wir in eigenen Lexikonartikeln:

Nominativ
Genitiv
Dativ
Akkusativ
Ablativ
Vokativ
Lokativ


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