Andere Bezeichnungen: Ortsfall, Wofall
Über das Wort „Lokativ“
Genus, Betonung: der Lokativ
Plural: die Lokative
Abkürzung: Lok.
Herkunft: von lat. cāsus locātīvus das Hinstellen betreffender Fall (zu locāre stellen, legen, setzen; von locus Ort, Stelle)
Definition
Unter „Lokativ“ versteht man einen Kasus, der den Gegenstand (meist: den Ort) kennzeichnet, wo sich etwas befindet.
Beachte: Die Definition gibt nur die Funktion an, die den Lokativ zum Lokativ macht! Eine Zusammenstellung aller seiner Funktionen findest du unten.
Form und Übersetzung
• Form: Eine eigenständige Lokativ-Form gibt es nur im Singular der ō-Deklination und ā-Deklination bei Substantiven und Adjektiven. Sie stimmt immer mit dem Genitiv Singular überein, endet also in der ō-Dekl. auf -ī, in der ā-Dekl. auf -ae. In Ausnahmefällen bilden auch Substantive anderer Deklinationen einen Lokativ auf -ī. In allen anderen Fällen wird der Ablativ (Ablātīvus locī, teils mit Präposition) als Lokativ mitverwendet.
• Übersetzung: Da das Deutsche keinen Lokativ besitzt, müssen wir den Lokativ immer mit einer räumlichen Präposition, meist verbunden mit Dativ, übersetzen, vor allem „in“ + Dativ, „bei“ + Dativ, „auf“ + Dativ, „an“ + Dativ. Siehe die Beispiele unter „Wortbestand“.
Wortbestand
Einen Lokativ bilden nur folgende Wörter:
• geografische Eigennamen, vor allem von Städten und Inseln,
in der klassischen Zeit selten von Ländern; z.B.:
÷ Rōmae in Rom
÷ Rhodī auf (der Insel) Rhodos (von Rhodus)
÷ Graeciae in Griechenland
• sehr wenige andere Substantive, einige nur in bestimmten Verbindungen;
vor allem:
÷ domī zu Hause (von domus f.)
÷ domī mīlitiaeque zu Hause und im Kriegsdienst = in Krieg und Frieden
÷ domī bellīque zu Hause und im Krieg = in Krieg und Frieden
÷ rūrī auf dem Land (im Gegensatz zur Stadt; von rūs, Gen. rūris, n.)
÷ humī auf dem Boden (von humus f.)
÷ vesperī am Abend (Lokativ der Zeit, siehe unten!, von vesper, Gen. -ī, m.)
÷ temporī (bei der Zeit, beizeiten =) rechtzeitig
(Lokativ der Zeit, siehe unten!, von tempus, Gen. temporis, n.)
• Adjektive und Possessivpronomen, wenn sie Substantive im Lokativ
begleiten; z.B.:
÷ Teānī Āpulī im apulischen Teanum = in Teanum in Apulien
÷ domī meae in meinem Haus = bei mir zu Hause
FUNKTIONEN
(A) Adverbial (= Verbsupplement)
(1) Lokativ der Ortsposition (Locātīvus locī)
Er steht auf die Frage „Wo?“; z.B.:
÷ Eōrum virtūs erat domī mīlitiaeque cognita.
Ihre Tüchtigkeit war in Krieg und Frieden (kennen gelernt =) erwiesen.
÷ Multī Graecī Rōmae serviunt.
Viele Griechen leisten in Rom Sklavendienst.
(2) Lokativ der Zeit (Locātīvus temporis)
Er steht auf die Frage „Wann?“; z.B.:
÷ Eam epistulam vesperī scrīpsī.
Diesen Brief habe ich am Abend geschrieben.
÷ Ad cēnam temporī vēnit.
Er kam (bei der Zeit =) rechtzeitig zum Mahl.
(B) Objekt (= ein Verbkomplement)
Der Lokativ der Ortsposition wird bei einigen Verben auch als Objekt verwendet; z.B.:
÷ Multī Graecī Rōmae habitant.
Viele Griechen wohnen in Rom.
(Hier ist Rōmae kein Adverbial, sondern Objekt,
da es als Ergänzung des Verbs notwendig ist.)
(C) Prädikat
Der Lokativ der Ortsposition kann als Prädikatsnomen gebraucht werden; z.B.:
÷ Multī Graecī Rōmae sunt.
Viele Griechen (sind =) befinden sich in Rom.