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Andere Bezeichnung:  Wemfall

 

Über das Wort „Dativ“

Genus, Betonung:  der Dativ
Plural:  die Dative
Abkürzung:  Dat.
Herkunft:  von lat. cāsus datīvus Gebefall  (zu dare geben)

 

Definition

Unter „Dativ“ versteht man den Kasus, der den Empfänger kennzeichnet.

Beachte:  Die Definition gibt nur die Funktion an, die den Dativ zum Dativ macht! Eine Zusammenstellung aller seiner Funktionen findest du unten.

 

FUNKTIONEN

 

(A)  Objekt (= ein Verbkomplement)

Der Dativ ist der typische Objektkasus in den Fällen, wo das Objekt eines Verbs keine Sache, sondern nur eine Person sein kann.

(1)  Dativ des Besitzers (Datīvus possessīvus/possessōris)
Die Verben des Vorhandenseins, nämlich esse (als Vollverb:) vorhanden sein und manēre (ver)bleiben, können als Ergänzung einen Dativ der Person zu sich nehmen. Dieser bezeichnet jemanden, dem etwas zur Verfügung steht und der in diesem Sinn etwas „hat“. Bei dieser Dativfunktion handelt es sich nicht um ein Prädikatsnomen, da esse hier nicht als Hilfsverb (genauer: Kopula) gebraucht ist. Z.B.:
÷ Patrī domus est. (Dem Vater ist ein Haus vorhanden =)
   Der Vater hat/besitzt ein Haus
.
÷ Rēgī imperium est. (Dem König ist die Herrschaft vorhanden =)
   Der König hat/besitzt die Herrschaft = ist Herrscher
.
÷ Rēgī imperium manet. (Dem König verbleibt die Herrschaft =)
   Der König bleibt im Besitz der Herrschaft = bleibt Herrscher
.
Während der Dativ des Besitzers allgemeiner ausdrückt, dass jemandem etwas zur Verfügung steht, aber offen lässt, ob es typischerweise zu ihm gehört, drückt der Genitiv des Besitzers genau diese typische Zugehörigkeit aus; z.B.:
÷ Domus patris est. Das Haus gehört dem Vater.

(2)  Dativ des Empfängers (Datīvus recipientis)
In seiner häufigsten Funktion kennzeichnet der Dativ wie im Deutschen den Empfänger in dem vom Verb beschriebenen Vorgang, also jemanden, dem etwas zur Verfügung gestellt wird und der in diesem Sinn etwas „bekommt“. Ein Empfänger ist natürlicherweise eine Person und daher ein typischer Anwendungsfall für den Dativ. Empfänger treten auf bei den Verben des Gebens im weitesten Sinn, zu denen auch die Verben des Sagens zählen. Hier steht das Dativobjekt der Person (= „indirektes Objekt“) neben einem Akkusativobjekt der Sache (= „direktes Objekt“). Bei Verben des Sagens hat das Akkusativobjekt oft die Gestalt eines Infinitivsatzes. Z.B.:
÷ Magister discipulō librum dat.
   Der Lehrer gibt dem Schüler ein Buch.
÷ Mīles rēgī nūntiat victōriam exercitūs / [exercitum vīcisse]ACI.
   Der Soldat meldet dem König den Sieg des Heeres / [dass das Heer gesiegt habe] .

(3)  Dativ als einziges Objekt wie im Deutschen
Viele Verben haben nur ein einziges Objekt, das wie im Deutschen im Dativ steht. Z.B.:
÷ servīre dominō  dem Herrn dienen
÷ oboedīre patrī  dem Vater gehorchen
÷ resistere hostibus  den Feinden Widerstand leisten
÷ cēdere fortiōri  dem Stärkeren weichen
÷ placet mihī  es gefällt mir

(4)  Dativ als einziges Objekt gegenüber Akkusativ im Deutschen
Einige Verben haben nur ein einziges Objekt, das im Lateinischen im Dativ, im Deutschen aber im Akkusativ steht. Z.B.:
÷ parcere victīs  die Besiegten schonen
÷ persuadēre amīcō  den Freund überreden/überzeugen
÷ invidēre dīvitī  den Reichen beneiden
In vielen Fällen lässt sich im Deutschen zusätzlich eine Übersetzung finden, die den Dativ nachahmen kann. Z.B.:
÷ imperāre omnibus gentibus 
   alle Völker beherrschen = allen Völkern gebieten/befehlen
÷ studēre litterīs 
   eifrig die Wissenschaften betreiben = sich den Wissenschaften widmen

(5)  Dativ des verglichenen Gegenstands (Datīvus comparātiōnis oder comparātī)
Drückt den zweiten Vergleichsgegenstand aus bei den Verben der Gleichheit: comparāre vergleichen, gleichstellen und aequāre gleichmachen, gleichstellen, Passiv: aequārī gleichstehen, gleichkommen. In allen Fällen ist statt Dativ auch cum + Ablativ möglich. Häufiger findet sich diese Dativfunktion bei Adjektiven, siehe unten. Z.B.:
÷ Hostēs aedificia solō aequāvērunt.
   Die Feinde machten die Gebäude dem Erdboden gleich.
÷ Rōmānī Vergilium Homērō aequābant/comparābant.
   Die Römer stellten (= bewerteten) Vergil dem Homer gleich.
÷ Vergilius Homērō aequātur. Vergil steht dem Homer gleich.
Beachte:  Der Dativ des verglichenen Gegenstands steht bei Gleichheit der beiden Vergleichsgegenstände, während der Ablativ des verglichenen Gegenstands bei Verschiedenheit der Vergleichsgegenstände gebraucht wird.

 

(B)  Subjekt (= ein Verbkomplement)

(1)  Dativ-Subjekt eines Infinitivs mit übernommenem Subjekt
Das Subjekt eines IC steht im Dativ, wenn es eine Dativ-Funktion im übergeordneten Satz hat.
Genaueres findest du unter Infinitiv mit übernommenem Subjekt.

(2)  Dativ-Subjekt eines PC
Das Subjekt eines PC steht im Dativ, wenn es eine Dativ-Funktion im übergeordneten Satz hat.
Genaueres findest du unter PC.

(3)  Dativ-Subjekt einer AUC (einschließlich ACP und Gerundivkonstruktion)
Das Subjekt einer AUC steht im Dativ, wenn die AUC im übergeordneten Satz eine Dativ-Funktion hat.
Genaueres findest du unter AUC.

 

(C)  Prädikat

Wegen der Prädikat-Subjekt-Kongruenz steht das Prädikat eines Infinitivsatzes oder Partizipialsatzes in den unter (B) genannten Fällen im Dativ, soweit das Prädikat kongruenzfähig ist.

 

(D)  Adverbial (= Verbsupplement)

(1)  Dativ des indirekt Betroffenen (Datīvus commodī vel incommodī)
Jedem Satz, dessen Inhalt zum Vorteil oder Nachteil einer Person wirkt, kann ein Dativ dieser betroffenen Person hinzugefügt werden. Lässt man diesen Dativ fort, bleibt immer ein grammatisch vollständiger Satz übrig. Im Deutschen wird mit Dativ oder „für“ + Akkusativ übersetzt. Z.B.:
÷ Servus hospitī portam aperit. Der Sklave öffnet dem Gast die Tür.
÷ Domum mihī aedificō. Ich baue mir (= für mich) ein Haus.

(2)  Dativ des Beurteilenden (Datīvus iūdicantis)
Er bezeichnet die Person, aus deren Sicht die Aussage des Satzes gültig ist. Z.B.:
÷ Homērus mihī maximus est poētārum.
   Homer ist für mich (= meiner Meinung nach) der größte der Dichter.

(3)  Dativ des Urhebers (Datīvus auctōris)
Das lateinische Perfekt oder Plusquamperfekt drückt manchmal nicht einen Vorgang, sondern das Ergebnis eines Vorgangs aus, z.B.:
÷ Urbs expūgnāta est.  Bedeutet:
— als Vorgang:  Die Stadt ist erobert worden = wurde erobert.
— als Ergebnis:  Die Stadt ist erobert.
In solchen Fällen bezeichnet der seltene Dativ des Urhebers die Person, für die das Ergebnis der eigenen Handlung vorliegt; z.B.:
÷ Urbs rēgī expūgnāta est. Die Stadt ist von dem König erobert.
   (= Die Stadt ist von dem König erobert worden und er besitzt sie noch immer.)
Die Person war zwar der Handelnde des Vorgangs, der zu dem Ergebnis geführt hat, ist aber vorgestellt als jemand, der das Ergebnis „in Händen hält“; daher steht die Person nicht in der Form ab + Ablativ, sondern in einem Dativ, der vom Dativ des Betroffenen abgeleitet ist. Im Deutschen muss dieser Dativ wie der Handelnde in Passivsätzen durch „von“ + Dativ übersetzt werden. Weitere Beispiele:
÷ Convīvia omnibus apparāta sunt in domibus.
   Gastmähler sind von allen in ihren Häusern zubereitet.
÷ Hoc nōbīs de eā rē dictum sit.
   (Dies =) So viel sei von uns über dieses Thema gesagt.
   (= Mehr wollen wir über dieses Thema nicht sagen.)

(4)  Dativ der verpflichteten Person (Datīvus obligātī)
Bezeichnet beim Gerundivum + esse die Person, die die Handlung ausführen soll. Die Person ist also noch nicht als Täter vorgestellt (dann müsste sie in der Form ab + Ablativ stehen), sondern als jemand, der von der Notwendigkeit der Handlung betroffen und zu ihrer Ausführung verpflichtet ist. Die meisten Grammatiken vermischen diese Dativfunktion mit dem Dativ des Urhebers (siehe (3)), weil im Deutschen auf die gleiche Weise übersetzt werden muss, nämlich durch „von“ + Dativ. Um einen „Urheber“ handelt es sich hier jedoch eindeutig nicht. Z.B.:
÷ Liber mihī legendus est.
   (Das Buch ist von mir zu lesen =) Ich soll/muss das Buch lesen.

(5)  Dativ des Zwecks oder der Folge (Datīvus fīnālis vel cōnsecūtīvus)
Dies ist die einzige Dativfunktion, die nicht auf Personen, sondern auf Sachen angewendet wird, und zwar auf abstrakte Wörter der Eigenschaft, des Zustands oder der Tätigkeit. Z.B.:
÷ Mīlitēs magnō dētrīmentō locum relīquērunt.
   Die Soldaten verließen zu ihrem großen Nachteil ihre Stellung. (Folge)
÷ Caesar urbī cōpiās praesidiō relinquit.
   Cäsar lässt der Stadt Truppen zum Schutz zurück. (Zweck)
Im zweiten Beispiel wird, wie oft beim Dativ des Zwecks oder der Folge, durch einen zweiten Dativ (urbī der Stadt), nämlich einen Dativ des Betroffenen, die Person bezeichnet, zu deren Vorteil oder Nachteil die Tätigkeit geschieht.
Meist wird der Dativ des Zwecks oder der Folge mit einer Form von esse sein verbunden. Wenn er den Zweck ausdrückt, übersetzt man mit „dient zu“, wenn er die Folge bezeichnet, „führt zu“, „bringt“. Z.B.:
÷ Locum relinquere mīlitibus magnō dētrīmentō fuit.
   Die Stellung zu verlassen brachte den Soldaten einen großen Nachteil. (Folge)
÷ Cōpiae urbī praesidiō erant.
   Die Truppen dienten der Stadt zum Schutz. (Zweck)

 

(E)  Adjektiv-Ergänzung (= Adjektivkomplement)

(1)  Dativ des indirekt Betroffenen (Datīvus commodī vel incommodī)
Adjektive, die bezeichnen, das etwas zum Vorteil oder Nachteil einer Person wirkt, z.B.:
÷ mihī ūtilis  mir (= für mich) nützlich
÷ mihī salūtāris  mir (= für mich) heilsam
÷ mihī commodus  mir (= für mich) günstig
÷ mihī perīculōsus  mir (= für mich) gefährlich

(2)  Dativ des Zwecks oder der Folge (Datīvus fīnālis vel cōnsecūtīvus)
Adjektive mit einem Dativ der Sache (immer ist statt Dativ auch ad + Akk. möglich), z.B.:
÷ nātus imperiō  zum Herrschen geboren
÷ locus proeliō aptus  ein für eine Schlacht geeigneter Ort

(3)  Dativ des verglichenen Gegenstands (Datīvus comparātiōnis oder comparātī)
Drückt den zweiten Vergleichsgegenstand aus bei Adjektiven der Gleichheit oder der Nicht-Gleichheit. Z.B.:
÷ Germānī fortitūdine parēs sunt Rōmānīs.
   Die Germanen sind in der Tapferkeit den Römern gleich.
÷ Canis similis est lupō, dissimilis ursō.
   Der Hund ist dem Wolf ähnlich, dem Bären unähnlich.
Beachte:  Bei Ausdrücken der Gleichheit kann der zweite Vergleichsgegenstand statt durch Dativ auch durch atque + Kasus des ersten Vergleichsgegenstands ausgedrückt werden; z.B.:
÷ Canis similis est atque lupus, dissimilis atque ursus.
  
Der Hund ist ähnlich wie der Wolf, aber nicht ähnlich wie der Bär.

 

(F)  Attribut eines Substantivs (als Supplement/Komplement)

In selteneren Fällen kann der Dativ ein Substantiv näher bestimmen.

(1)  Dativ-Objekt
÷ obtemperātiō lēgibus
   der Gehorsam gegenüber den Gesetzen
   (konstruiert wie obtemperāre lēgibus den Gesetzen gehorchen)

(2)  Dativ des Zwecks oder der Folge (Datīvus fīnālis vel cōnsecūtīvus)
÷ cūrātor [mūrīs reficiendīs]  (AUC)
   Beauftragter für die Ausbesserung der Mauern


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