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Andere Bezeichnungen:  Sprachgeschichte, Sprachgeschichtslehre, Sprachgeschichtswissenschaft

 

Über das Wort „Etymologie“

Genus, Betonung:  die Etymologie
Plural:  die Etymologien
Abkürzung:  Et., Etym., Etymol.
Herkunft:  von griechisch etymología Lehre von der Grundbedeutung der Wörter (von étymon das Wahre + lógos Überlegung + Suffix -ía „Tätigkeit von jemandem“, also eigentlich: die Tätigkeit von jemandem, der über das Wahre nachdenkt, wobei hier mit das Wahre die wahre Bedeutung gemeint ist).
• Beachte, dass die heutige Bedeutung des Wortes (siehe Definition) nicht mehr genau der ursprünglichen griechischen Bedeutung entspricht!

 

Definition

Unter „Etymologie“ versteht man entweder
• die Herkunft und Entstehung von beobachteten sprachlichen Phänomenen (also von Form und Bedeutung von Wörtern und ihrer Bestandteile sowie von syntaktischen Erscheinungen), auf Deutsch: Sprachgeschichte;
oder
• die Lehre oder Wissenschaft von der Herkunft und Entstehung dieser sprachlichen Phänomene, auf Deutsch: Sprachgeschichtslehre (oder Sprachgeschichtswissenschaft). Die Etymologie ist also eine Abteilung der Sprachwissenschaft.

 

Was erforscht die Etymologie?

Sprachen verändern sich im Lauf von Jahrhunderten und Jahrtausenden. Das Deutsche hat sich in den letzten tausend Jahren so stark verändert, dass wir die damaligen Texte, das sogenannte „Althochdeutsch“, heute kaum noch verstehen können. Wir müssen es fast wie eine Fremdsprache lernen.

Das Deutsche ist aus einem Dialekt des sogenannten „Urgermanischen“ entstanden, das vor etwa 3000 Jahren in Norddeutschland und Skandinavien gesprochen wurde. Von dieser Sprache ist uns nichts Schriftliches erhalten. Wir können sie aber teilweise rekonstruieren, da aus dem Urgermanischen mehrere Sprachen entstanden sind, die zur althochdeutschen Zeit oder früher in Nord-, Mittel- und Südosteuropa gesprochen wurden und uns Inschriften und sogar Bücher hinterlassen haben. Wenn wir diese sehr ähnlichen Sprachen miteinander vergleichen, können wir erschließen, wie das Urgermanische ungefähr ausgesehen hat. Die meisten nordeuropäischen Sprachen, neben Deutsch vor allem Holländisch, Dänisch, Norwegisch und Schwedisch, haben sich aus dem Urgermanischen entwickelt. Wir sprechen daher von der germanischen Sprachfamilie.

Der Vergleich zwischen Französisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch zeigt, dass auch diese Sprachen eng verwandt sind. Sie gehören zur romanischen Sprachfamilie. Die Ursprache, von der sie abstammen, kennen wir aber sehr gut: Es ist das Lateinische.

Das Englische ist ein Sonderfall: Eigentlich war es eine germanische Sprache, die aus norddeutschen Dialekten entstanden ist, deren Sprecher auf die britischen Inseln auswanderten. Nach der Eroberung Englands durch die französischsprachigen Normannen im Jahre 1066 vermischte sich das Germanische mit dem Altfranzösischen der Eroberer zu einer neuen Sprache, die man weder der germanischen noch der romanischen Sprachfamilie klar zuordnen kann.

Wenn wir das Urgermanische mit dem Lateinischen, Altgriechischen, Altindischen und vielen anderen alten Sprachen vergleichen, stellen wir fest, dass diese Sprachen sich ebenfalls so ähnlich sind, dass dies nicht auf Zufall oder Übernahme von Wörtern aus einer Sprache in die andere beruhen kann. Auch diese Sprachen hatten also eine gemeinsame Ursprache, die wir durch Sprachvergleich ungefähr rekonstruieren können. Sie wurde vor ungefähr 5000 Jahren wahrscheinlich an der Nordküste des Schwarzen Meers von einem Volk gesprochen, das leider nichts Schriftliches hinterlassen hat. Das Volk nennen wir „Ur-Indogermanen“, ihre Sprache „Ur-Indogermanisch“. Alle davon abstammenden Sprachen bilden die indogermanische Sprachfamilie (auch „indoeuropäische Sprachfamilie“ genannt), die insgesamt über 400 Sprachen umfasst.

Die etymologische Forschung rekonstruiert zum einen das Urgermanische und das Urindogermanische aus den bekannten europäischen und asiatischen Sprachen, soweit sie miteinander verwandt sind. Zum anderen findet sie möglichst genau die Regeln heraus, nach denen sich die neueren Sprachen aus den älteren entwickelt und auseinanderentwickelt haben (Beispiele siehe unten).

 

Wozu braucht man die Etymologie?

Die Etymologie ist aus drei Gründen nützlich:

• Erstens lernen wir mit der Sprachgeschichte ein Stück der Geschichte unserer eigenen Kultur und der Kulturen vieler anderer Völker kennen.

• Zweitens können wir mithilfe der Etymologie alte Schriftzeugnisse unbekannter Sprachen entschlüsseln, die zu unserer Sprachfamilie gehören.

• Drittens hilft uns die Etymologie beim Sprachenlernen: Wenn wir eine Fremdsprache neu lernen wollen, erkennen wir mit den etymologischen Regeln, welche neuen Wörter mit welchen Wörtern in schon gelernten Sprachen verwandt sind. So können wir uns die Bedeutung der neuen Vokabeln leichter merken. Das Gleiche gilt für verwandte Flexionsendungen.

 

Beispiele

Manchmal sehen sich die verwandten Wörter noch sehr ähnlich und haben dieselbe Bedeutung, wie in den folgenden Beispielen (vor die rekonstruierten Wortformen setzt man ein Sternchen: *):

[1]  deutsch:  Fuß (Gen. Fußes)
      englisch:  foot (Gen. foot’s)
      lateinisch:  pēs (Gen. pedis)
      griechisch:  poús (Gen. podós)
      alt-indisch:  pā́t (Gen. padás)
      ur-indogermanisch:  *pōds (Gen. *pedós)

[2]  dt.:  Vater  (Aussprache wie „Fater“) (Gen. Vaters)
      engl.:  father (Gen. father’s)
      lat.:  pater (Gen. patris)
      gr.:  patḗr (Gen. patrós)
      ai.:  pitā́ (Gen. pitúr)
      uidg.:  *pǝtḗr (Gen. *pǝtrós) (ǝ = schwaches e wie in „bekannt“)

[3]  dt.:  Horn
      engl.:  horn
      lat.:  cornū
      gr.:  keras
      ai.: śŕṇgam
      uidg.:  *krn...

[4]  dt.:  hund-ert
      engl.:  hund-red
      lat.:  centum
      gr.:  hé-katon
      ai.:  śatám
      uidg.:  *kmtóm

Wir lernen daraus zum Beispiel: 
• Ein deutsches und englisches f (oder v = f) stammt gewöhnlich von einem ur-indogermanischen p ab, das im Lateinischen, Griechischen und Altindischen noch erhalten ist (Beispiele [1] und [2]).
• Ein deutsches und englisches h stammt gewöhnlich von einem ur-indogermanischen k ab, das im Lateinischen (c = k) und Griechischen noch erhalten ist und im Altindischen als ś erscheint (ś = deutsch „ch“ in „ich“) (Beispiele [3] und [4]).
• Auch die Deklinationsendungen wie das -es oder -s des deutschen Genitivs stammen aus dem Ur-Indogermanischen und sind oft in ähnlicher Form auch in den anderen Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie erhalten (Beispiele [1] und [2]).

Wir haben hier immer nur den Anlautkonsonanten der Beispielwörter erklärt. Wenn man die übrigen Laute dieser Wörter ebenfalls alle erklären wollte, würde man sehr viel mehr Regeln benötigen. Um die Verwandtschaft aller deutschen Wörter mit allen indogermanischen Sprachen (auch allen hier nicht angegebenen) in allen Einzelheiten zu erklären, sind tausende Regeln erforderlich. Außerdem verändert sich nicht nur die Lautgestalt der Wörter mit der Zeit, sondern auch die Bedeutung bleibt meist nicht genau gleich, sie kann sich sogar bis zur Unkenntlichkeit verändern. Für Bedeutungsveränderungen lassen sich allerdings keine Regeln aufstellen.