Andere Bezeichnung: Satzarten
Definition
Ein „Satztyp“ ist eine Klasse aller Sätze, die die gleiche Grundfunktion für die Kommunikation erfüllen.
Bestand an Satztypen
Traditionell unterscheidet man fünf Satztypen:
• Aussagesatz (= Deklarativsatz)
• Ausrufesatz (= Exklamativsatz)
• Wunschsatz (= Desiderativsatz, Optativsatz)
• Aufforderungssatz (= Imperativsatz)
• Fragesatz (= Interrogativsatz)
Definitionen und Beispiele siehe unten unter „Erscheinungsformen“.
ERSCHEINUNGSFORMEN
(A) Aussagesatz
Der Sprecher teilt dem Angesprochenen einen bestehenden Sachverhalt mit („Wie es ist“). Dieser Sachverhalt kann auch ein vermuteter (Potentialis: „Wie es wohl ist/ sein wird“) oder bloß vorgestellter (Irrealis: „Wie es wäre“) sein.
(1) Aussagesatz im Indikativ ohne besondere Kennzeichen = realer Behauptungssatz
÷ Nēmō servitūtem lībertātī antepōnit.
Niemand zieht die Sklaverei der Freiheit vor.
(2) Aussagesatz im potentialen Konjunktiv = Vermutungssatz
÷ Nēmō servitūtem lībertātī antepōnat/anteposuerit.
Niemand wird wohl die Sklaverei der Freiheit vorziehen.
(3) Aussagesatz im irrealen Konjunktiv = irrealer Behauptungssatz
÷ Nēmō servitūtem lībertātī antepōneret.
Niemand würde die Sklaverei der Freiheit vorziehen.
(4) Aussagesatz in Form eines Fragesatzes = rhetorische Frage (ein Stilmittel)
÷ Quis servitūtem lībertātī antepōnit?
Wer zieht schon die Sklaverei der Freiheit vor?
(gleichbedeutend mit (1): Niemand zieht die Sklaverei der Freiheit vor.)
÷ Quis servitūtem lībertātī antepōnat/anteposuerit?
Wer wird wohl die Sklaverei der Freiheit vorziehen?
(gleichbedeutend mit (2): Niemand wird wohl die Sklaverei der Freiheit vorziehen.)
÷ Quis servitūtem lībertātī antepōneret?
Wer würde schon die Sklaverei der Freiheit vorziehen?
(gleichbedeutend mit (3): Niemand würde die Sklaverei der Freiheit vorziehen.)
(5) Aussagesatz in Form eines Wunschsatzes = Konzessivsatz
÷ Nē sit sānē summum malum dolor – malum certē est.
Der Schmerz mag nicht das größte Übel sein – ein Übel ist er allemal.
(Der erste Satz steht im Wunschkonjunktiv, dient jedoch als ein einräumender
Vermutungssatz für den zweiten Satz, gleichbedeutend mit:
Der Schmerz ist vielleicht nicht das größte Übel...)
Siehe unter Konjunktiv (A)(4) „konzessive Wünsche“.
(B) Ausrufesatz
Der Ausrufesatz ist ein Spezialfall des Aussagesatzes: Die Aussage verbindet sich mit einem Ausdruck besonderer Gefühlserregung.
Ein Ausrufesatz kann vor allem in folgenden Formen auftreten:
(1) gewöhnlicher Aussagesatz mit gesteigerter Satzintonation oder emotionalen Zusätzen wie Interjektionen, Götteranrufungen
÷ Crēdō hercle ita esse!
Ich glaub’s, beim Herkules, dass es so ist!
(2) Fragesatz mit gesteigerter Aussagesatz-Intonation (Satz-Intonation = Satzmelodie)
÷ Quam huic erat miserum carēre cōnsuētūdine amīcōrum!
Wie elend war es für ihn, den Umgang mit Freunden zu entbehren!
Auch verkürzte Sätze:
÷ Quae cēnae! Quae dēliciae!
Was für Mähler (sind das)! Welche Schlemmerei (ist das)!
(3) ACI ohne übergeordneten Hauptsatz
Im Deutschen kann ein dass-Satz in der gleichen Funktion verwendet werden.
÷ Condemnārī tot hominēs ūnō tempore, nūllō crīmine!
Dass so viele Leute zur selben Zeit verurteilt werden, ohne irgendein Vergehen!
(4) Akkusativ oder Nominativ des Ausrufs als Kurzsatz ohne Verb
÷ Ō virum stultum! Oh was für ein dummer Mann!
(= Dieser Mann ist außerordentlich dumm!)
÷ Ō magna vīs vēritātis! Oh große Kraft der Wahrheit!
(= Die Kraft der Wahrheit ist außerordentlich groß!)
(C) Wunschsatz
Der Sprecher teilt dem Angesprochenen einen gewünschten Sachverhalt mit („Wie es sein soll“).
(1) Erfüllbarer Wunsch im Wunschkonjunktiv
Als Wunschkonjunktiv dient Kjv. Präsens für Gegenwart, Kjv. Imperfekt für Vergangenheit. Wahlweise mit zusätzlichem Wunschwort (utinam, velim).
÷ Veniat hodiē! Möge er heute kommen!
÷ Utinam veniat hodiē! Wenn er doch heute käme (und dies ist durchaus möglich)!
÷ Velim veniat hodiē! Ich wollte, er käme heute!
(2) Nicht-erfüllbarer Wunsch im irrealen Konjunktiv mit Wunschwort (utinam, velim)
Als irrealer Konjunktiv dient Kjv. Imperfekt für Gegenwart, Kjv. Plusquamperfekt für Vergangenheit. Der Wunschcharakter des Satzes muss zwangsläufig immer mit Wunschwort (utinam, velim) ausgedrückt werden.
÷ Utinam venīret hodiē! Wenn er doch heute käme (aber dies ist nicht möglich)!
÷ Utinam vēnisset hodiē! Wenn er doch heute gekommen wäre!
(D) Aufforderungssatz
Der Aufforderungssatz ist ein Spezialfall des Wunschsatzes: Der Wunsch verbindet sich mit dem Hinweis, dass der Angesprochene selber den Wunsch verwirklichen soll.
(1) höfliche Aufforderung im Konjunktiv (siehe Konjunktiv, Abschnitt: Aufforderungen)
÷ Pūgnēs! Du solltest/sollst kämpfen!
÷ Pūgnēmus! Wir sollten kämpfen! = Lasst uns kämpfen!
(2) Befehl oder eine nachdrückliche Aufforderung im Imperativ.
÷ Pūgnā! Kämpfe!
Verneinung des Imperativs ist nicht erlaubt; stattdessen zwei Möglichkeiten:
• Imperativ von nōlle nicht wollen + Infinitiv
÷ Nōlī pūgnāre! (Wolle nicht kämpfen! =) Kämpfe nicht!
• nē + Konjunktiv Perfekt
÷ Nē pūgnāveris! Kämpfe nicht!
(3) Frage im Indikativ (oder Imperativ) mit quīn warum nicht? als emotionale Aufforderung
÷ Quīn pūgnās? Warum kämpfst du nicht? = So kämpfe doch!
(E) Fragesatz
Der Fragesatz ist ein Spezialfall des Aufforderungssatzes: Inhalt der Aufforderung ist, dass der Angesprochene dem Sprecher zu einem angegebenen Thema einen Sachverhalt mitteilen soll. Dabei kann es sich um einen wirklich bestehenden oder einen nur vermuteten, vorgestellten oder gewünschten Sachverhalt handeln.
(1) Wahrheitsfragen werden im Lateinischen durch die Fragepartikeln -ne, nōnne oder num gekennzeichnet.
Im Deutschen tritt das Verb an den Satzanfang; teils werden zusätzlich Fragepartikeln gebraucht.
Wahrheitsfragen sind Fragen, auf die mit „ja“ (bzw. „doch“) oder „nein“ geantwortet werden soll.
• neutral: angehängtes -ne? (im Deutschen unübersetzt)
÷ Pūgnāvit-ne? Hat er gekämpft? (Mögliche Antworten: Ja! / Nein!)
• positive Antwort wird erwartet: nōnne? etwa nicht?
÷ Nōnne pūgnāvit? Hat er etwa nicht gekämpft? (Erwartete Antwort: Doch!)
• negative Antwort wird erwartet: num? etwa?
÷ Num pūgnāvit? Hat er etwa gekämpft? (Erwartete Antwort: Nein!)
(2) Wahlfragen werden durch die Fragepartikeln utrum... an...? oder -ne... an...? ... oder...? gekennzeichnet.
Wahlfragen (= Alternativfragen) bestehen aus zwei oder mehr zur Wahl gestellten Aussagen, wobei der Befragte angeben soll, welche der Aussagen wahr ist.
÷ Utrum pūgnāvit an fūgit? Hat er gekämpft oder ist er geflohen?
(3) Ergänzungsfragen werden durch Fragepronomen oder Frageadverbien gekennzeichnet.
Bei Ergänzungsfragen soll der Befragte das Fragewort (= Platzhalter) durch einen Ausdruck ersetzen, der den Fragesatz zu einem wahren Aussagesatz macht.
÷ Quis pūgnāvit? Wer hat gekämpft?
Antwort z.B.: Caesar (pūgnāvit). Cäsar (hat gekämpft).
÷ Quandō pūgnāvit? Wann hat er gekämpft?
Antwort z.B.: Herī (pūgnāvit). Gestern (hat er gekämpft).
÷ Ubī pūgnāvit? Wo hat er gekämpft?
Antwort z.B.: Apud Alesiam (pūgnāvit). Bei Alesia (hat er gekämpft).
÷ Cūr pūgnāvit? Warum hat er gekämpft?
Antwort z.B.: (Pūgnāvit,) ut urbem expūgnāret. (Er hat gekämpft,) um die Stadt zu erobern.
(1) + (2) werden auch unter der Bezeichnung „Satzfragen“ zusammengefasst und den „Wortfragen“ = (3) „Ergänzungsfragen“ gegenübergestellt. Die Bezeichnung „Entscheidungsfragen“ wird teils im Sinne von „Wahrheitsfragen“, teils im Sinne von „Satzfragen“ verwendet.
Siehe auch Fragenebensatz.