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Andere Bezeichnungen:  Genus verbi (oder kurz: Genus), Verbalgenus, Handlungsform

 

Über die Bezeichnungen „Diathese“ und „Genus (verbi)“

Genus, Betonung:  die Diathese | das Genus (verbi)
Plural:  die Diathesen | die Genera (verbi)
Abkürzung:  Dth.
Herkunft:  von lat. diathesis Anordnung, Zustand, dies von griechisch diáthesis Anordnung, Zustand |
von lat. genus (verbī) Geschlecht (des Verbs). Dahinter verbirgt sich eine Zuordnung der Diathesen zu den drei Geschlechtern:
• Aktiv  >  männlich (maskulin),
• Passiv  >  weiblich (feminin),
• Medium (eine griechische Diathese)  >  weder männlich noch weiblich, d.h. sächlich (neutral).

Welche Bezeichnung ist die günstigste?
Gegen die Bezeichnung „Genus (verbi)“ sprechen folgende Gründe:
• Die in ihr enthaltene sexuelle Anspielung (siehe oben: Herkunft) dürfte heutzutage eher unerwünscht sein.
• Sie ist unpraktisch beim Gebrauch für andere Sprachen, da man nur als Lateinkenner den Plural richtig bilden kann.
• Sie ist missverständlich: Unter dem „Genus (verbi)“ einer Partizipialform kann sowohl „Aktiv“ oder „Passiv“ als auch „Maskulin“, „Feminin“ oder „Neutrum“ verstanden werden.
 

Definition

Die „Diathese“ (= das „Genus verbi“) ist eine der Dimensionen der Konjugation. Die „Diathese“ des Verbs drückt aus, welche semantische Rolle (Handelnder, Erleidender usw.) das Subjekt für den im Prädikat ausgedrückten Sachverhalt erfüllt.

Erläuterung:  Grundsätzlich wird die semantische Rolle (Erleidender, Empfänger, Mittel, Ort usw., aber auch Handelnder) eines Gegenstands im Satz durch den Kasus ausgedrückt, teils in Verbindung mit einer Präposition. Der Kasus Nominativ, der im finiten Satz das Subjekt kennzeichnet, ist jedoch nicht auf eine bestimmte semantische Rolle festgelegt. Im Lateinischen kann das Nominativ-Subjekt den Handelnden oder den Erleidenden bezeichnen. Welche semantische Rolle das Subjekt im konkreten Satz hat, wird nicht am Subjekt selber, sondern am Verb angezeigt, und zwar mithilfe der Diathese.

 

Bestand an Diathesen

(1)  Das Lateinische verfügt über zwei Diathesen:

(a)  Das Aktiv zeigt an, dass das Subjekt an dem im Prädikat ausgedrückten Sachverhalt als Handelnder (= Agens) beteiligt ist. Z.B.:
÷ Dominus servōs vocat.  Der Herr ruft die Sklaven.

(b)  Das Passiv zeigt an, dass das Subjekt an dem im Prädikat ausgedrückten Sachverhalt als Erleidender (= Patiens) beteiligt ist. Z.B.:
÷ Dominus ā servīs vocātur.  Der Herr wird von den Sklaven gerufen.

In beiden Sätzen steht dominus Herr als Subjekt im Nominativ. Es ist jedoch klar zu erkennen: Das Subjekt ist nicht immer „der, der das tut“. Im Aktiv-Satz zeigt die Aktiv-Endung des Verbs -t an, dass das Subjekt der Handelnde (= Agens) ist. Im Passiv-Satz hat das gleiche Subjekt aber eine andere Rolle: Die Passiv-Endung des Verbs -tur zeigt an, dass das Subjekt der Erleidende (= Patiens) ist.

Beachte:  Viele lateinische und deutsche Verben haben trotz Aktiv-Formen Passiv-Bedeutung. Ihr Subjekt ist also genau genommen immer Erleidender (= Patiens). Daher können diese Verben meist keine Passiv-Formen bilden (siehe defektive Verben). Z.B:
÷ Puer cadit.  Der Junge fällt.  (*caditur ist unmöglich)
÷ Puer crēscit.  Der Junge wächst.  (*crēscitur ist unmöglich)
 

(2)  Das Deutsche verfügt über drei Diathesen:
Deutsches Aktiv und Passiv sind oben in den Übersetzungen der lateinischen Sätze zu sehen (ruftwird gerufen). Die dritte Diathese des Deutschen ist das Rezeptiv. Hier deutsche Beispielsätze, an denen man erkennen kann, wie alle drei Diathesen funktionieren:

(a)  Aktiv:  Das Subjekt die Großmutter ist Handelnder (= Agens):
÷ Die Großmutter schenkt dem Enkel das Buch.

(b)  Passiv:  Das Subjekt das Buch ist Erleidendes (= Patiens):
÷ Das Buch wird dem Enkel von der Großmutter geschenkt.
Bildungsweise: Form von „werden“ + Passivpartizip.

(c)  Rezeptiv:  Das Subjekt der Enkel ist Empfänger (= Rezipiens):
÷ Der Enkel bekommt das Buch von der Großmutter geschenkt.
Bildungsweise: Form von „bekommen“ + Passivpartizip.
In der Umgangssprache oft mit „kriegen“ gebildet:
÷ Der Enkel kriegt das Buch von der Großmutter geschenkt.

 

Umwandlung von Aktivsätzen ins Passiv

Wie wandelt man im Lateinischen einen Aktivsatz in einen Passivsatz um, ohne die Bedeutung des Satzes zu verändern? Vergleiche die folgenden beiden gleichbedeutenden Sätze.
Markierungen:  
ROT = Nominativ (Subjekt und das mit dem Subjekt kongruente Verb),
GRÜN = Dativ (mit Präposition), 
BLAU = Akkusativ,
GRAU = Ablativ (mit Präposition),
AG = Agens = Handelnder,
PAT = Patiens = Erleidender,
AKT = Aktiv,
PAS = Passiv.

• Aktivsatz:    DominusAG  servōsPAT  vocatAKT.  
                        Der Herr ruft die Sklaven.

• Passivsatz:  ServīPAT  ā dominōAG  vocanturPAS.  
                        Die Sklaven werden von dem Herrn gerufen.

Obwohl das Subjekt in dem Aktivsatz dominus der Herr ist (erkennbar am Nominativ), in dem Passivsatz aber servī die Sklaven, haben beide Sätze die gleiche Bedeutung. Entscheidend ist nicht, welche Form die Gegenstände des Satzes (der Herr, die Sklaven) haben, sondern welche Funktion. Die Diathese des Verbs legt fest, welche Form im Satz welche Funktion hat:
• Das Aktivverb (vocat ruft) legt fest: 
— das Agens muss im Nominativ (= Subjekt) stehen:  dominus der Herr
— das Patiens muss im Akkusativ stehen:   servōs die Sklaven.
• Das Passivverb (vocantur werden gerufen) legt fest: 
— das Agens muss im Ablativ mit Präposition ā/ab (von + Dativ) stehen:  ā dominō von dem Herrn,
— das Patiens muss im Nominativ (= Subjekt) stehen:  servī die Sklaven.
Da in beiden Sätzen der Herr Handelnder (= Agens) ist und die Sklaven Erleidende (= Patiens) sind, haben Aktiv- und Passivsatz die gleiche Bedeutung.
Bei der Umwandlung eines Aktivsatzes in einen gleichbedeutenden Passivsatz gelten also folgende Regeln:

Umwandlungsregeln Aktiv > Passiv:
Nominativ  >  ā/ab + Ablativ  (Agens-Umwandlung)
Akkusativ  >  Nominativ  (Patiens-Umwandlung)
• Aktivform  >  Passivform  (Verb-Umwandlung)
Beachte, dass das Verb immer mit dem Subjekt kongruent sein muss. Daher wird in dem Beispiel oben das Verb nicht nur vom Aktiv ins Passiv umgewandelt, sondern auch vom Singular in den Plural (vocat  >  vocantur), um sich dem neuen Subjekt (servī) anzupassen.

Im Deutschen gelten die gleichen Regeln wie im Lateinischen. Dem Lateinischen „ā/ab + Ablativ“ für den Handelnden (= Agens) im Passivsatz entspricht im Deutschen „von + Dativ“.


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