Andere Bezeichnungen: dominantes Partizip bzw. Gerundivum; partizipialer Substantivsatz; (als Akkusativobjekt:) ACP
Farben in diesem Lexikonartikel:
• ROT = Nominativ;
• ROSA = Genitiv;
• GRÜN = Dativ;
• BLAU = Akkusativ;
• GRAU = Ablativ;
• Nicht gekennzeichnet sind die für die Ab-urbe-condita-Konstruktion nicht entscheidenden Kasusformen und sonstige Wörter.
Über das Wort „Ab-urbe-condita-Konstruktion“
Genus, Betonung: die Ab-urbe-condita-Konstruktion
Plural: die Ab-urbe-condita-Konstruktionen
Abkürzung: AUC
Herkunft: von lat. ab urbe conditā, wörtlich: „seit der gegründeten Stadt“; gemeint ist: seit der Gründung der Stadt (Rom). Die Konstruktion ist also nach einem Beispiel benannt, das die Konstruktion veranschaulicht.
Definition
Die „Ab-urbe-condita-Konstruktion“ (= AUC) ist ein Nebensatz, dessen Verb ein Partizip ist und dessen Subjekt ein Substantiv oder Pronomen mit folgenden Eigenschaften ist:
• Es hat keine Funktion im übergeordneten Satz (im Unterschied zum Subjekt des PC).
• Es kann in jedem Kasus (außer Vokativ, Lokativ) und auch mit Präposition stehen (im Unterschied zum Subjekt des Abl.abs.).
• Der Kasus oder die Präposition zeigen die Funktion der AUC im übergeordneten Satz (= Sinnverhältnis) an.
Beachte:
• Die AUC ist eine Art verbesserter Abl.abs.: Stell dir die AUC als einen Abl.abs. vor, der keinen festen Kasus (Ablativ) hat, sondern jeden Kasus (auch mit Präposition) annehmen kann, um dadurch seine Funktion im übergeordneten Satz (= Sinnverhältnis) anzuzeigen.
• Die AUC sieht immer genau wie ein PC aus, die Art, wie beide Konstruktionen in den Satz eingebaut sind, ist jedoch sehr verschieden.
• Das Partizip muss wie jedes Verb mit seinem Subjekt kongruent sein. Daher kann es ebenfalls in jedem Kasus auftreten, nämlich in dem Kasus seines jeweiligen Subjekts.
• In normalen Texten wird die AUC wie alle Partizipialsätze nicht durch Satzzeichen vom übergeordneten Satz abgegrenzt, weder durch Klammern noch durch Kommas oder andere Zeichen. Die Grenzen musst du selber finden. Meistens steht das Partizip nach seinem Subjekt und die AUC reicht von diesem Subjekt bis zum Partizip.
Satzkonstruktionen in der deutschen Übersetzung
Beispiele mit [a] gleichzeitgem Aktivpartizip (= PPA), [b] vorzeitigem Passivpartizip (= PPP), [c] nachzeitigem Aktivpartizip (= PFA), [d] Gerundiv. Vergleiche die ähnlich lautenden Beispiele beim Abl.abs.: Die Bedeutung der Beispiele und die Übersetzungsmöglichkeiten sind dieselben, doch bei der AUC ist die Funktion im übergeordneten Satz (= Sinnverhältnis) durch die kausale Präposition propter wegen sichtbar ausgedrückt.
÷ [a] [Propter mīlitēs urbem dīripientēs] incolae dēspērāvērunt.
÷ [b] [Propter urbem ā mīlitibus dīreptam] incolae dēspērāvērunt.
÷ [c] [Propter mīlitēs urbem dīreptūrōs] incolae dēspērāvērunt.
÷ [d] [Propter urbem dīripiendam] mīlitēs vēnērunt.
(1) Wörtliche Übersetzung:
Ist zwar möglich, verändert jedoch mehr oder weniger stark den Sinn, da die AUC im Deutschen wenig gebräuchlich ist und daher meist als PC missverstanden wird. Deshalb darf die wörtliche Übersetzung nicht als endgültige Lösung stehen bleiben:
[a] [Wegen der die Stadt plündernden Soldaten] verzweifelten die Einwohner.
[b] [Wegen der durch die Soldaten geplünderten Stadt] verzweifelten die Einwohner.
[c] [Wegen der die Stadt plündern wollenden Soldaten] verzweifelten die Einwohner.
[d] [Wegen der geplündert werdenden Stadt] kamen Soldaten.
Gemeint ist jedoch in allen Sätzen nicht: „wegen der Soldaten“ bzw. „wegen der Stadt“, sondern: „wegen der Plünderung“. Daher solltest du im Normalfall die Lösung (3) oder (4) wählen.
(2) Übersetzung mit Relativsatz:
Ist nicht möglich, da die AUC im Unterschied zum Relativsatz und zum PC keinen Gegenstand des übergeordneten Satzes beschreibt. Das Subjekt der AUC ist in ihr selber enthalten.
(3) Übersetzung mit Subjunktionalsatz:
Aus der Präposition (oder, wenn keine Präposition vorhanden ist: aus dem Kasus) wird eine gleichbedeutende Subjunktion. Im vorliegenden Beispiel wird aus der kausalen Präposition „wegen“ die kausale Subjunktion „weil“ (das Gerundiv ist dann final zu verstehen: „um… zu“).
[a] [Weil die Soldaten die Stadt plünderten,] verzweifelten die Einwohner.
[b] [Weil die Stadt von den Soldaten geplündert worden war,] verzweifelten die Einwohner.
= (ins Aktiv gedreht:) [Weil die Soldaten die Stadt geplündert hatten,] verzweifelten die Einwohner.
[c] [Weil die Soldaten die Stadt plündern wollten,] verzweifelten die Einwohner.
[d] [Weil die Stadt geplündert werden sollte = um die Stadt zu plündern,] kamen Soldaten.
(4) Übersetzung mit Präpositionalausdruck:
[a] [Wegen der Plünderung der Stadt durch die Soldaten] verzweifelten die Einwohner.
[b] [Wegen der (geschehenen) Plünderung der Stadt durch die Soldaten] verzweifelten die Einwohner.
[c] [Wegen der bevorstehenden Plünderung der Stadt durch die Soldaten] verzweifelten die Einwohner.
oder: [Wegen der von den Soldaten beabsichtigten Plünderung der Stadt] verzweifelten die Einwohner.
[d] [Wegen = zum Zweck der Plünderung der Stadt] kamen Soldaten.
(5) Übersetzung mit Hauptsatz:
[a] [Die Soldaten plünderten die Stadt.] DESWEGEN verzweifelten die Einwohner.
[b] [Die Stadt war von den Soldaten geplündert worden.] DESWEGEN verzweifelten die Einwohner.
= (ins Aktiv gedreht:) [Die Soldaten hatten die Stadt geplündert.] DESWEGEN verzweifelten die Einwohner.
[c] [Die Soldaten wollten die Stadt plündern.] DESWEGEN verzweifelten die Einwohner.
[d] [Die Stadt sollte geplündert werden.] DESWEGEN = ZU DIESEM ZWECK kamen Soldaten.
Tempus in der deutschen Übersetzung
Für das Tempus, das in der deutschen Übersetzung der AUC gewählt werden muss, gelten grundsätzlich dieselben Regeln wie bei der Übersetzung des PC und des Abl.abs. Das Gerundiv bezeichnet in der AUC ebenso wie im Abl. abs. weder die Notwendigkeit noch die Machbarkeit, sondern ist als gleichzeitiges oder nachzeitiges Passivpartizip gebraucht.
Funktionen der AUC im übergeordneten Satz (Sinnverhältnisse)
Die AUC kann fast alle Satzgliedfunktionen annehmen, die sonst durch ein Substantiv (oder Pronomen) erfüllt werden: Verbergänzung (d.h. Subjekt und Objekt), Attribut (das oft nur als „Satzgliedteil“ angesehen wird) und Adverbial. Als Adverbial kann es viele (semantischen) Rollen übernehmen, die auch beim PC möglich sind. Die jeweilige Funktion der AUC kannst du an ihrem Kasus bzw. ihrer Präposition ablesen.
(A) Verbergänzung: Subjekt, Objekt
(1) Subjekt: AUC im Nominativ:
÷ [Urbs ā mīlitibus dīrepta] hostibus formīdolōsa erat.
— (wörtlich: [Die von den Soldaten geplünderte Stadt] war für die Feinde furchteinflößend.)
— mit Subjunktion: [DASS die Stadt von den Soldaten geplündert worden war], war für die Feinde furchteinflößend.
— mit Vorgangssubstantiv: [Die Plünderung der Stadt durch die Soldaten] war für die Feinde furchteinflößend.
(2) Akkusativobjekt: AUC im Akkusativ, sogenannter Accūsātīvus cum participiō (= ACP):
÷ Incolae vident [mīlitēs urbem dīripientēs].
— (wörtlich: Die Einwohner sehen [die die Stadt plündernden Soldaten].)
— mit Subjunktion: Die Einwohner sehen, [DASS/WIE die Soldaten die Stadt plündern].
— mit Vorgangssubstantiv: Die Einwohner sehen [die Plünderung der Stadt durch die Soldaten].
(B) Attribut
Genitivattribut:
÷ Hostēs capiunt cōnsilium [urbis dīripiendae].
— (wörtlich: Die Feinde fassen den Beschluss [der geplündert werdenden Stadt].)
— mit „zu“ + Infinitiv: Die Feinde fassen den Beschluss, [die Stadt zu plündern].
— mit Vorgangssubstantiv: Die Feinde fassen den Beschluss [der Plünderung der Stadt].
÷ Nūntius [urbis dīreptae] affertur.
— (wörtlich: Die Nachricht [der geplünderten Stadt] wird gebracht.)
— mit Subjunktion: Die Nachricht wird gebracht, [DASS die Stadt geplündert wurde].
— mit Vorgangssubstantiv: Die Nachricht [der Plünderung der Stadt] wird gebracht.
(C) Adverbial
(1) Zeitangabe (= temporal)
Z.B. nachzeitig:
÷ Annō [ante rēgem mortuum] hostēs in terram invāsērunt.
— (wörtlich: Im Jahr [vor dem gestorbenen König] drangen Feinde ins Land ein.)
— mit Subjunktion: Im Jahr [bevor der König starb,] drangen Feinde ins Land ein.
— mit Vorgangssubstantiv: Im Jahr [vor dem Tod des Königs] drangen Feinde ins Land ein.
(2) eingetretene Voraussetzungen (= possibilitativ)
• gleichzeitig:
÷ [In urbe dīripiendā] multa scelera facta sunt.
— (wörtlich: [In/während/bei der geplündert werdenden Stadt] geschahen viele Verbrechen.)
— mit Subjunktion: [Als/während die Stadt geplündert wurde,] geschahen viele Verbrechen.
— mit Vorgangssubstantiv: [Während/bei der Plünderung der Stadt] geschahen viele Verbrechen.
• vorzeitig:
÷ [Post urbem dīreptam] exercitus discessit.
— (wörtlich: [Nach der geplünderten Stadt] zog das Heer ab.)
— mit Subjunktion: [Nachdem die Stadt geplündert worden war,] zog das Heer ab.
— mit Vorgangssubstantiv: [Nach der Plünderung der Stadt] zog das Heer ab.
(3) Grund (= kausal)
÷ [Propter mīlitēs urbem dīripientēs] incolae dēspērāvērunt.
— (wörtlich: [Wegen der die Stadt plündernden Soldaten] verzweifelten die Einwohner.)
— mit Subjunktion: [Weil die Soldaten die Stadt plünderten,] verzweifelten die Einwohner.
— mit Vorgangssubstantiv: [Wegen der Plünderung der Stadt durch die Soldaten] verzweifelten die Einwohner.
(4) Zweck (= final)
÷ Mīlitēs loca relinquunt [ad urbem dīripiendam].
— (wörtlich: Die Soldaten verlassen ihre Stellungen [zur geplündert werdenden Stadt].)
— mit „um zu“ + Infinitiv: Die Soldaten verlassen ihre Stellungen, [um die Stadt zu plündern].)
— mit Vorgangssubstantiv: Die Soldaten verlassen ihre Stellungen [wegen der Plünderung der Stadt].
(5) weitere Sinnverhältnisse
Das instrumentale (= Mittel) und das modale (= Art und Weise) Verhältnis werden im Lateinischen durch Ablativ ohne Präposition ausgedrückt. In diesen Fällen sieht die AUC also wie ein Abl.abs. aus. Für andere Sinnverhältnisse fehlen geeignete Kasus oder Präpositionen.