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Nationalsozialismus und Exil

Der Zusammenbruch der New Yorker Börse (1929) löste eine Weltwirtschaftskrise aus, die für Deutschland verheerende Konsequenzen hatte. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 hatte auch für die Literatur weitreichende Folgen: Es bildete sich eine spezifische nationalsozialistische Kunstproduktion heraus, die stark durch völkisch-vaterländische Vorstellungen, durch Irrationalismus, Führerideologie, Blut-und-Boden-Romantik und sozialdarwinistische Vorstellungen geprägt war; diese Tendenz entwickelte sich aus einer Gesinnung heraus, die lange vor Hitler, d. h. bereits im 19. Jh., ihre Ursprünge hatte. Zunehmend orientierte sich die NS-Literatur an ideologischen Grundsätzen wie Rasse, Führertum, Kampf, Gewalt und Gemeinschaft. Weitere Kriterien dieser Gesinnungs- und Weltanschauungsliteratur waren Autoritätsgläubigkeit, militanter Nationalismus, kultische Führerverehrung, pseudorevolutionäre Kampfstimmung. Zu den verbalen Mittel dieser Literatur gehörten z. B. stereotype, vor allem sakrale Metaphern, mit denen Hoheit, Größe  und Würde vorgetäuscht wurde (z. B. Altäre, Choräle, Glockenläuten, Hünengräber, Runen, Eichenwälder), Symbole der Fruchtbarkeit (Mutterschoß, Erde, Korn) und militärisches Vokabular.

Ein Teil der deutschen Schriftsteller bekannte sich während der NS-Diktatur offen zum Nationalsozialismus; ein anderer Teil zog sich in die Innere Emigration zurück. Andere Schriftsteller wurden aus politischen oder rassischen Gründen (manche doppelt stigmatisiert) verboten, verfemt und verfolgt. Durch die Emigration verloren viele Schriftsteller ihr Publikum und wurden daher erst nach 1945 auf einer breiteren Grundlage rezipiert.

Literatur des Exils

Viele Schriftsteller gingen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ins Exil (von lat. exilium = Verbannung) und ließen sich zunächst in europäischen Nachbarländern nieder. Die Tschechoslowakei war anfangs das attraktivste Exilland. Die Sowjetunion kam dagegen fast nur für Mitglieder der KPD bzw. Repräsentanten der proletarisch-revolutionären Literatur infrage. Die Stabilisierung des „Dritten Reiches“ (Anschluss Österreichs, Annexion der Tschechoslowakei, Besetzung Frankreichs) zwang viele Exilanten abermals zur Flucht nach England oder Übersee. Sie fanden sich schließlich in allen fünf Kontinenten wieder. Dazu gehörten z. B.:

  • Thomas Mann - Exil in den USA
  • Bertolt Brecht - Exil in Dänemark, Schweden, den USA
  • Kurt Tucholsky - Exil in Schweden, Freitod 1935
  • Stefan Zweig - Exil in Brasilien, Freitod 1942
  • Erich Maria Remarque - Exil in der Schweiz, in Frankreich, den USA
  • Anna Seghers - Exil in Mexiko
  • Oskar Maria Graf - Exil in den USA

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschärfte sich die Situation der deutschen Exilanten. In Frankreich wurden sie z. B. in Massenlagern interniert, einzelne auch der deutschen Besatzung ausgeliefert. Die materiellen Verhältnisse der Exilanten waren unterschiedlich: Während die Mehrzahl existenzielle Probleme hatte, konnten z. B. Schriftsteller wie Thomas Mann und Stefan Zweig ihren gewohnten Lebensstil aufrechterhalten. Die meisten setzten ihren vor 1933 begonnenen literarischen Weg fort. Ein der Exilliteratur gemeinsamer Stil oder ein einheitliches politisches Programm existierten nicht.

Die im Exil bevorzugte Gattung war der Roman; dabei spielte der Deutschlandroman eine besondere Rolle: Der Welt sollte das wahre Gesicht des „Dritten Reiches“ gezeigt werden (z. B. Lion Feuchtwanger, Geschwister Oppermann, 1933). Auch der historische Roman erfreut sich großer Beliebtheit (z. B. Thomas Mann, Lotte in Weimar, 1939). Eine wichtige Thematik war auch das Exil selbst (z. B. Lion Feuchtwanger, Das Exil, 1940).

Der produktivste Dramatiker des Exils war Bertolt Brecht. Seine im Exil entstandenen Dramen begründeten seine Weltgeltung. Im Mittelpunkt seiner Stücke standen grundsätzliche Fragestellungen, z. B. die ethische Verantwortung des Wissenschaftlers (Leben des Galilei), die Beziehung kleiner Leute zum Krieg (Mutter Courage und ihre Kinder) und die Kritik an idealistischen Auffassungen (Der gute Mensch von Sezuan).

Die Lyrik wurde u. a. von Vertretern der Agitations- und politischen Gebrauchslyrik bestimmt (z. B. Parodien, Satiren, Spott- und Schmähgedichte, die gegen das „Dritte Reich“ und ihre Repräsentanten gerichtet sind). Brechts Worte „Schlechte Zeit für Lyrik“ weisen auf die verbreitete Meinung hin, dass angesichts der Untaten des NS-Regimes herkömmliche lyrische Formen (Reim, Rhythmus) und Themen (Liebe, Natur) kaum mehr möglich sind, ohne die realen politischen Zusammenhänge zu verharmlosen.

Auswahl wichtiger Autoren und Werke

Thomas Mann (1875-1955): Lotte in Weimar; Doktor Faustus

Stefan Zweig (1881-1942): Schachnovelle

Lion Feuchtwanger (1884-1958): Die Geschwister Oppermann; Das Exil

Hermann Broch (1886-1951): Der Tod des Vergil

Bertolt Brecht (1898-1956): Leben des Galilei; Mutter Courage und ihre Kinder; Svendborger Gedichte; Der gute Mensch von Sezuan

Anna Seghers (1900-1983): Das siebte Kreuz

Literatur der inneren Emigration

Mit der Bezeichnung „innere Emigration“ wird die Einstellung der Schriftsteller zusammengefasst, die nach 1933 in Deutschland geblieben waren und die dem Nationalsozialismus teils indifferent, teils feindselig gegenüberstanden. Sie galten nicht, wie die aus dem „Dritten Reich“ Geflohenen, als erklärte Regimegegner, waren aber zum Teil deutlichen materiellen und intellektuellen Bedrohungen ausgesetzt. Die jeweiligen Gegebenheiten waren bei den einzelnen Schriftstellern sehr verschiedenartig. Überwiegend wurde ein christlich-humanistisches Ethos im Sinne des europäischen Erbes vertreten; die Vertreter der inneren Emigration verstanden sich als „geistige Opposition gegen den nationalsozialistischen Ungeist“. Direkte politische Appelle gegen das NS-Regime waren kaum möglich, wohl aber eine indirekte Kritik, die allerdings vom Leser ein Kombinieren zwischen den Zeilen verlangt.

Im Kontrast zu dem ideologischen Sprachschwulst der Literatur des „Dritten Reiches“ schrieben die Vertreter der inneren Emigration oft in einem gehobenen traditionellen Sprachstil. Zu ihnen gehörten z. B. Ernst Wiechert, Elisabeth Langgässer, Rudolf Alexander Schröder, Werner Bergengruen, Marie-Luise Kaschnitz und Erich Kästner.


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  • #Nationalsozialismus