Über das Wort „Trochäus“
Genus, Betonung: der Trochäus (sprich dreisilbig: Tro-chä-us)
Plural: die Trochäen
Abkürzung: tro (in metrischen Formeln)
Herkunft: von lat. trochaeus, dies von griechisch trochaîos Trochäus (eigentlich: der Laufende, Schnelle; Substantivierung des Adjektivs trochaîos laufend, schnell)
Definition
Der „Trochäus“ ist ein Metrum, das
• entweder aus einer Abfolge aus „Silbe mit Versakzent“ + „Silbe ohne Versakzent“ besteht (einakzentiger Trochäus), Schema: ✕́ ✕;
• oder aus einer Verdopplung der genannten Abfolge (zweiakzentiger Trochäus), Schema: ✕́ ✕, ✕́ ✕, wobei die zweite Hälfte sich von der ersten durch abweichende Regelung der Silbenquantität unterscheidet.
Hinweis: Vergleiche die „spiegelverkehrte“ Definition des Jambus.
Deutsche Trochäen
Da das Deutsche beim Versrhythmus nur zwischen betonten und unbetonten Silben, d.h. Silben mit und ohne Versakzent, unterscheidet, gibt es beim trochäischen Metrum keine Variationsmöglichkeiten. Die Form des Metrums ist immer: ✕́ ✕. Lediglich die Zahl der Trochäen pro Vers kann der Dichter auswählen, sowie die Möglichkeit, am Versende eine betonte Silbe (= Silbe mit Versakzent) hinzuzufügen. Z.B. ein Gedicht nach folgendem Versschema:
[a] ✕́ ✕, ✕́ ✕, ✕́ ✕, ✕́ ✕, (4 Trochäen)
[b] ✕́ ✕, ✕́ ✕, ✕́ ✕, ✕́ (3 Trochäen + 1 Silbe mit Versakzent)
[1a] Tíefe Stílle hérrscht im Wásser,
[1b] óhne Régung rúht das Méer,
[2a] únd bekǘmmert síeht der Schíffer
[2b] glátte Flä́che ríngsumhér.
[3a] Kéine Lúft von kéiner Séite!
[3b] Tódesstílle fǘrchterlích!
[4a] Ín der úngehéuern Wéite
[4b] réget kéine Wélle sích.
(aus: Goethe: Gedichte)
Lateinische Trochäen
Symbole:
lange Silbe
′ Versakzent auf langer Silbe
‿ kurze Silbe
⏑ ⏑ Position mit zwei kurzen Silben
⏑′⏑ Position mit Versakzent auf zwei kurzen Silben
‿ Position mit wahlweise kurzer oder langer Silbe
⏑′⏑ Position mit Versakzent auf wahlweise einer langen oder zwei kurzen Silben
⏕͜ Position mit wahlweise kurzer oder langer Silbe oder zwei kurzen Silben
(1) reine Trochäen
Reine Trochäen kommen im Lateinischen selten vor und sind immer einakzentig:
Metrum: ′ ‿
Versschema z.B.: [a] ′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′
(= 3 einakzentige Trochäen + eine zusätzliche Silbe mit Versakzent)
Horaz kombiniert dieses Schema mit einer Verszeile in jambischem Metrum:
[b] ‿ ′ ‿ ′ , ‿ ′ ‿ ′ , ‿ ′ ′
(= 3 zweiakzentige Jamben, wobei dem dritten die kurze vorletzte Silbe fehlt)
÷ [1a] Trū́ditur diḗs diḗ (Trochäus)
′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′
[1b] nováeque pérgunt ínterī́re lū́náe: (Jambus)
‿ ′ ‿ ′ , ′ ‿ ′ , ‿ ′ ′
[2a] Tū́ secánda mármorá (Trochäus)
′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′
[2b] locā́s sub ípsum fū́nus ét sepúlcrī́ (Jambus)
‿ ′ ‿ ′ , ′ ‿ ′ , ‿ ′ ′
[3a] ímmemór struís domṓs. (Trochäus)
′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′
Jedem Tag drängt neuer nach,
stets neue Monde wachsen, um zu schwinden. (zunehmender und
abnehmender Mond)
Du, an Todes Schwelle schon,
lässt Marmor schneiden, doch du planst kein Grabmal,
du erschaffst Paläste dir.
(aus Horaz: Carmina 2:18:15ff; freie Übersetzung: Wolfgang Töpler)
(2) Trochäen mit Auflösungen
Wörter mit zwei oder mehr aufeinanderfolgenden kurzen Silben (z.B. accǐpĕre annehmen) lassen sich im reinen Trochäus nicht unterbringen. Daher wurden (wie beim Jambus) Varianten des Trochäus gebildet, in denen jede lange Silbe in zwei kurze Silben „aufgelöst“ (d.h. geteilt) werden konnte. Nicht auflösbar waren jedoch die beiden letzten Silben eines Verses. So entstanden folgende weitere Schemata:
(a) einakzentiger Trochäus mit Auflösungen
Metrum: ′ ‿ , oder mit Auflösungen: ⏑′⏑ ⏕͜
Versschema, z.B. „trochäischer Septenar“; er enthält sieben Metren + eine lange Silbe mit Versakzent:
′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′
oder mit Auflösungen aller Silben:
⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ‿ , ′
Hinweis: Für die durch Teilung entstandenen kurzen Silben verwenden wir das Symbol ⏑, für die „ursprünglichen“ kurzen Silben ‿. Das dient nur dazu, das metrische Schema übersichtlicher darzustellen. Beide Zeichen stehen für die gleichen kurzen Silben.
÷ Nṓn, edepól, nunc úbi terrā́rum sím, sciṓ, sī quís rogét,
′ ⏑ ⏑ , ′ , ⏑′⏑ , ′ , ′ ‿ , ′ , ′ ‿ , ′
néque misér mē cómmovḗre póssum práe formī́diné.
⏑′⏑ ‿ , ′ , ′ ‿ , ′ ‿ , ′ , ′ , ′ ‿ , ′
Weiß, beim Pollux, nicht zu sagen, wo auf Erden ich grad’ bin, (Pollux = ein Gott)
wenn mich jemand fragt! Ich Ärmster bin ganz starr und steif vor Angst!
(Plautus: Amphitruo 334f; freie Übersetzung: WT)
(b) zweiakzentiger Trochäus mit Auflösungen
Metrum: ′ ‿ ′ ‿ , oder mit Auflösungen der langen Silben: ⏑′⏑ ‿ ⏑′⏑ ⏕͜
Versschema, z.B. „trochäischer Tetrameter“; er enthält vier Metren, von denen das letzte um eine Silbe verkürzt ist:
′ ‿ ′ ‿ , ′ ‿ ′ ‿ , ′ ‿ ′ ‿ , ′ ‿ ′
oder mit Auflösungen der langen Silben:
⏑′⏑ ‿ ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ‿ ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ‿ ⏑′⏑ ⏕͜ , ⏑′⏑ ‿ ′
÷ Út sacrā́ta témpla Phóebī súpplic(ī) íntrāvī́ pedé
′ ‿ ′ ‿ , ′ ‿ ′ , ′ ‿ ′ , ′ ‿ ′
ét piā́s nūmén precā́tus rī́te súmmīsī́ manū́s,
′ ‿ ′ , ′ ‿ ′ , ′ ‿ ′ , ′ ‿ ′
gémina Párnāsī́ nivā́lis árx trucém fremitúm dedít;
⏑′⏑ ‿ ′ , ′ ‿ ′ ‿ , ′ ‿ ′ ⏑ ⏑ , ′ ‿ ′
ímminḗns Phoebḗa láurus trémuit ét mōvít comám
′ ‿ ′ , ′ ‿ ′ , ⏑′⏑ ‿ ′ , ′ ‿ ′
ác repénte sā́ncta fóntis lýmpha Cástaliī́ stetít.
′ ‿ ′ ‿ , ′ ‿ ′ , ′ ‿ ′ ⏑ ⏑ , ′ ‿ ′
Als ich demutsvollen Fußes Phöbus’ Heiligtum betrat, (Phöbus = der Gott Apollo)
reine Händ’ nach frommer Sitte flehend zu dem Gott erhob,
spie der weiße Zwillingsgipfel des Parnass ein Donnergroll’n; (Parnass =
ein Berg bei Delphi)
Phöbus’ schattenreicher Lorbeer bog erzitternd sein Geäst;
jäh versiegt das heil’ge Wasser aus dem Quell Kastalia.
(Seneca: Oedipus 225ff; freie Übersetzung: Wolfgang Töpler)