Andere Bezeichnung: rückbezügliches Fürwort
Über das Wort „Reflexivpronomen“
Genus, Betonung: das Reflexivpronomen
Plural: die Reflexivpronomen oder die Reflexivpronomina
Abkürzung: Refl.-Pron.
Herkunft: von lat. prōnōmen reflexīvum rückbezügliches Pronomen (eigentlich: Rückwendungspronomen, von reflexus zurückgewandt = Passivpartizip von reflectere zurückbiegen, zurückwenden)
Definition
Ein „Reflexivpronomen“ ist ein Pronomen, das sich auf das Subjekt des Satzes zurückbezieht in dem Sinne, dass es den Subjektgegenstand wiederaufnimmt. D.h. der im Subjekt genannte Gegenstand tritt noch einmal in einer zweiten Rolle (z.B. als Objekt) im selben Satz auf und wird in dieser zweiten Rolle als Reflexivpronomen dargestellt.
Beispiel:
÷ Mārcus sē lavat. Marcus wäscht sich. (Der Gegenstand Mārcus tritt als Subjekt und zugleich in dem Reflexivpronomen sē sich als Objekt auf, indem er die Handlung an sich selber vollzieht.)
Beim Reflexivpronomen handelt es sich nicht um eine eigenständige Wortart oder Unterwortart, sondern die Formen des Personalpronomens und des Possessivpronomens heißen Reflexivpronomen, wenn sie reflexiv (= als Wiederaufnahme des Subjektgegenstands) gebraucht sind.
Arten von Reflexivpronomen
Es gibt zwei Arten von Reflexivpronomen: das reflexive Personalpronomen und das reflexive Possessivpronomen.
(1) Reflexives Personalpronomen
Form: Die vollständige Deklination findest du unter Personalpronomen.
Als reflexives Personalpronomen wird im Lateinischen wie im Deutschen in der 1. und 2. Person das gewöhnliche Personalpronomen gebraucht, z.B. im Akkusativ: mē mich, tē dich, nōs uns, vōs euch. In der 3. Person hingegen existiert eine eigenständige reflexive Form, die z.B. im Akkusativ sē sich lautet. Wozu wird diese benötigt? In der 1. und 2. Person ist der gemeinte Gegenstand durch das gewöhnliche Personalpronomen schon genau genug identifiziert: Die 1. Person bedeutet immer den Sprecher (im Plural: die Gruppe des Sprechers), die 2. Person immer den Angesprochenen (im Plural: die Gruppe des Angesprochenen). Anders ist es bei Pronomen der 3. Person, z.B. im Akk.: eum/eam/id ihn/sie/es, Plural: eōs/eās/ea sie: Sie können nicht so leicht auf einen bestimmten Gegenstand bezogen werden, denn es gibt im Text meist mehrere Gegenstände, die den Wert einer 3. Person haben (d.h. weder Sprecher noch Angesprochener sind) und vielleicht zufällig auch im Numerus und Genus mit dem Pronomen übereinstimmen. Hier stellt das Reflexivpronomen sē sich Eindeutigkeit her, da es sich nur auf den Gegenstand beziehen kann, der im Satz die Subjekt-Funktion hat.
Fehlende Formen:
• Nominativ: Das reflexive Personalpronomen der 3. Person sē sich bildet im Lateinischen wie im Deutschen keinen Nominativ. Dieser war ursprünglich überflüssig, denn der Subjektsgegenstand wird ja im Reflexivpronomen zu dem Zweck wiederaufgenommen, noch eine weitere Funktion (Objekt, Kern eines Adverbials usw.) zu übernehmen, die natürlich nicht durch Nominativ gekennzeichnet ist. Als die Sprache jedoch die indirekte Reflexivität (siehe unten) erfand, wurden für Nebensätze reflexive Subjekte benötigt. Im ACI reichten die vorhandenen Akkusativformen. Für Nebensätze mit finiter Verbform konnten in der 1. und 2. Person die Nominative des Personalpronomens reflexiv verwendet werden, während in der 3. Person ipse er selbst als Nominativ des Reflexivs eintrat.
• Genera werden nicht unterschieden, da sie für eine eindeutige Wiederaufnahme des Subjektsgegenstands nicht benötigt werden.
• Numerus: Das Pronomen der 3. Person kommt aus dem gleichen Grund auch ohne Numerus-Unterscheidung aus, d.h. sē sich dient als Singular und Plural.
Funktion: Das reflexive Personalpronomen hat alle Eigenschaften des Personalpronomens und zusätzlich die reflexive Funktion, d.h. es bezeichnet den schon im Subjekt genannten Gegenstand nochmals in einer zweiten Rolle, z.B.:
÷ Mārcus sē lavat. Marcus wäscht sich. (Der Gegenstand Mārcus hat die Subjekt-Funktion und tritt im Reflexivpronomen sē sich zugleich als Objekt auf, indem er die Handlung an sich selber vollzieht.)
÷ Mē lavō. Ich wasche mich. (Hier ist das Subjekt ich durch die Verbendung -ō ausgedrückt.)
(2) Reflexives Possessivpronomen
Form: Im Deutschen gibt es kein reflexives Possessivpronomen, daher muss das gewöhnliche Possessivpronomen (mein, dein, sein/ihr, unser, euer, ihr) auch in reflexiver Funktion verwendet werden. Im Lateinischen können die Possessivpronomen der 1. und 2. Person auch reflexiv verwendet werden, während für die 3. Person eine eigenständige reflexive Form existiert: suus sein/ihr. Die reflexiv gebrauchten Formen lauten z.B. im Nominativ Singular:
• bei Wiederaufnahme eines Singular-Subjekts: meus mein, tuus dein, suus sein, ihr;
• bei Wiederaufnahme eines Plural-Subjekts: noster unser, vester euer, suus ihr.
Die Deklination entspricht den Adjektiven der ō/ā-Deklination; dabei werden noster unser und vester euer als Stämme auf Konsonant + r dekliniert (wie aeger), also:
Nom.Sg. noster-_, nostr-a, nostr-um,
Gen.Sg. nostr-ī, nostr-ae, nostr-ī,
usw.
Vester geht nach demselben Muster.
Funktion: Das reflexive Possessivpronomen hat alle Eigenschaften des Possessivpronomens und zusätzlich die reflexive Funktion, d.h. es bezeichnet die Zugehörigkeit eines Gegenstands zu dem schon im Subjekt genannten Gegenstand, z.B.:
÷ Mārcus canem suum lavat. Marcus wäscht seinen Hund. (Der Gegenstand Mārcus tritt zugleich als Subjekt und als „Besitzer“ des Gegenstands canis Hund auf.)
÷ Canem meum lavō. Ich wasche meinen Hund. (Hier ist das Subjekt ich durch die Verbendung -ō ausgedrückt.)
Beachte:
(1) Beim reflexiven Possessivpronomen gilt wie beim gewöhnlichen Possessivpronomen: Die Deklinationsendungen -us, -a, -um usw. beziehen sich auf den „Besitz“ bzw. den Gegenstand, der zu einem anderen Gegenstand gehört. Die Stämme me-, tu-, nostr-, vestr-, su- bezeichnen den „Besitzer“ bzw. den Gegenstand, zu dem etwas gehört, d.h. sie beziehen sich bei reflexivem Gebrauch auf den Subjektsgegenstand. Z.B.:
÷ Mārcus canem suum lavat. Marcus wäscht seinen Hund. Hier bezieht sich der Stamm su- auf den Besitzer, das Subjekt Mārcus, während sich die Endung -um auf den Besitz canem Hund bezieht und mit diesem kongruent ist. (Das gilt ebenso für das deutsche seinen mit dem Stamm sein- und der Endung -en.)
(2) Im Deutschen wird das Possessivpronomen „sein/ihr“ sowohl reflexiv als auch nicht-reflexiv gebraucht. Im Lateinischen hat suus nur reflexive Funktion, während für den nicht-reflexiven Fall der Genitiv eines Demonstrativpronomens eintreten muss, z.B.:
÷ Lūcius cum cane suō Mārcum vīsitat. Mārcus canem eius lavat. Lucius besucht mit seinem (= seinem eigenen) Hund Marcus. Marcus wäscht seinen Hund (wörtlich: den Hund von ihm = von Lucius).
(3) Das lateinische suus sein/ihr kann jedes Subjekt der 3. Person wiederaufnehmen, gleich welches Genus und welchen Numerus es hat. Im Deutschen hingegen muss der Genus- und Numerusunterschied ausgedrückt werden. Z.B.
÷ Mārcus canem suum lavat. Marcus wäscht seinen Hund.
÷ Iūlia canem suum lavat. Julia wäscht ihren Hund.
÷ Puerī canem suum lavant. Die Kinder waschen ihren Hund.
Direkte und indirekte Reflexivität
Im Unterschied zum Deutschen unterscheidet man im Lateinischen zwei Arten von Reflexivität: direkte und indirekte Reflexivität. Sie werden durch dieselben Pronomen ausgedrückt, sodass es gelegentlich zu Mehrdeutigkeiten kommen kann.
(1) direkte Reflexivität
Bei direkter Reflexivität nimmt das Reflexivpronomen wie im Deutschen den Subjektgegenstand desselben Haupt- oder Nebensatzes wieder auf, in dem es steht; z.B.:
÷ Mārcus sē lavat. Marcus wäscht sich.
÷ Lūcius narrat Mārcum sē lavāvisse. Lucius erzählt, dass Marcus sich gewaschen habe.
Mārcum sē lavāvisse ist ein ACI, also ein Nebensatz, in dem das Reflexivpronomen sē sich das Subjekt des ACI Mārcum wiederaufnimmt.
(2) indirekte Reflexivität
Bei indirekter Reflexivität nimmt das Reflexivpronomen eines Nebensatzes den Subjektgegenstand des übergeordneten Satzes wieder auf. Das kommt hauptsächlich in indirekter Rede vor, d.h. wenn der Nebensatz eine Aussage oder einen Gedanken des Subjekts des übergeordneten Satzes darstellt. Z.B.:
÷ Lūcius narrat Mārcum sē lavāvisse. Lucius erzählt, dass Marcus ihn gewaschen habe.
Dieser Satz scheint der gleiche zu sein wie das zweite Beispiel unter (1). Auch hier ist Mārcum sē lavāvisse ein ACI, also ein Nebensatz, doch jetzt nimmt das Reflexivpronomen sē das Subjekt des übergeordneten Satzes Lūcius wieder auf, sodass sich die Bedeutung völlig ändert. Ob die direkt-reflexive oder die indirekt-reflexive Interpretation richtig ist, kannst du nur aus dem Textzusammenhang erschließen.
Da ein deutsches Reflexivpronomen nicht indirekt-reflexiv verwendet werden kann, muss das lateinische Reflexivpronomen bei indirekter Reflexivität durch ein deutsches Personalpronomen wiedergegeben werden, z.B. im Akkusativ sē ihn/sie/es.
Besonders häufig kommt die indirekte Reflexivität beim Subjekt eines ACI vor, z.B.:
÷ Lūcius narrat sē Mārcum lavāvisse. Lucius erzählt, dass er (= er selbst) Marcus gewaschen habe.
Im Unterschied zum Demonstrativpronomen:
÷ Lūcius narrat eum Mārcum lavāvisse. Lucius erzählt, dass er (= ein anderer, z.B. Gaius) Marcus gewaschen habe.