Definition
Eine „relativische Verschränkung“ liegt vor, wenn ein Relativwort (d.h. Relativpronomen oder Relativadverb) nicht Bestandteil des eigentlichen Relativsatzes ist, sondern eines Nebensatzes, der dem Relativsatz untergeordnet ist.
Erläuterungen:
• Da die Konstruktion „relativische Verschränkung“ im Deutschen kaum vorkommt, kann sie beim Übersetzen meist nicht wörtlich wiedergegeben werden. Gewöhnlich muss die Satzkonstruktion völlig geändert werden.
• Eine ähnliche Konstruktion ist die „interrogativische Verschränkung“.
Übersetzungstechniken
Die wichtigsten Übersetzungstechniken für die relativische Verschränkung sind folgende:
(1) Methode „relativischer Satzanschluss“
Der gesamte Relativsatz einschließlich des Nebensatzes, der das Relativwort enthält, wird vom Rest des Satzes abgetrennt und als eigenständiger Satz übersetzt. Wie beim relativischen Satzanschluss wird das Relativwort als Demonstrativwort (oder Personalpronomen) übersetzt, der Relativsatz wird zum Hauptsatz.
Diese Methode ist die einfachste und eleganteste, ist jedoch nur auf nicht-identifizierende (= nicht-einschränkende) Relativsätze anwendbar. Denn nur diese sind für ihren übergeordneten Satz entbehrlich und daher herauslösbar.
(2) Methode „komplette Ebenenvertauschung“
Der Nebensatz, der das Relativwort enthält, wird zum Relativsatz gemacht (also zur höheren Ebene), dann wird diesem der eigentliche übergeordnete Relativsatz (mit Subjunktion oder als Einschub) untergeordnet (also zur niedrigeren Ebene). Wichtig ist, dabei das Sinnverhältnis zwischen beiden Sätzen unverändert wiederzugeben.
Diese Methode ist nur anwendbar, wenn der untergeordnete Satz, in dem das Relativpronomen steht, inhaltlich wichtiger ist als der eigentliche Relativsatz.
(3) Methode „Ebenenvertauschung des Relativworts“
Das Relativwort wird „gewaltsam“ in den eigentlichen übergeordneten Relativsatz eingegliedert. Im untergeordneten Satz erscheint statt des Relativworts ein Personalpronomen oder Demonstrativwort (d.h. Demonstrativpronomen oder Demonstrativadverb).
Beispiele
Grundsätzlich kann der Relativsatz mit jeder Art von Nebensatz verschränkt sein. Als Beispiele nehmen wir den ACI und das PC.
(1) Verschränkung Relativsatz mit ACI
[a] nicht-identifizierender (= nicht-einschränkender) Relativsatz:
÷ Hostēs vestrī Germānī sunt, quōs fortissimē pūgnāre putātis.
[b] identifizierender (= einschränkender) Relativsatz:
÷ Timētis omnēs hostēs, quōs fortissimē pūgnāre putātis.
Der eigentliche übergeordnete Relativsatz ist putātis ihr glaubt, das Relativwort quōs steht jedoch im untergeordneten ACI quōs fortissimē pūgnāre.
• Übersetzung nach Methode „relativischer Satzanschluss“:
[a] Eure Feinde sind die Germanen. Ihr glaubt, dass sie sehr tapfer kämpfen.
Der Relativsatz putātis ist zum Hauptsatz geworden: Ihr glaubt.
Der ACI ist wie üblich als dass-Satz übersetzt: dass sie sehr tapfer kämpfen.
Das Relativwort ist zum Personalpronomen geworden: sie.
[b] Nicht sinnvoll ist die Übersetzung:
Ihr fürchtet alle Feinde. Ihr glaubt, dass sie sehr tapfer kämpfen.
Denn nicht alle Feinde kämpfen tapfer, und die Angesprochenen fürchten sich nur vor den tapferen.
Du siehst: Beim identifizierenden Relativsatz funktioniert die Methode „relativischer Satzanschluss“ nicht.
• Übersetzung nach Methode „komplette Ebenenvertauschung“:
[a] Eure Feinde sind die Germanen, die, WIE ihr glaubt, sehr tapfer kämpfen.
[b] Ihr fürchtet alle Feinde, die, WIE ihr glaubt, sehr tapfer kämpfen.
Der ACI ist zum Relativsatz geworden: die … sehr tapfer kämpfen.
Der Relativsatz putātis ist zum untergeordneten Einschub geworden: WIE Ihr glaubt.
• Übersetzung nach Methode „Ebenenvertauschung des Relativworts“:
[a] Eure Feinde sind die Germanen, von denen ihr glaubt, dass sie sehr tapfer kämpfen.
[b] Ihr fürchtet alle Feinde, von denen ihr glaubt, dass sie sehr tapfer kämpfen.
Der Relativwort quōs ist aus dem ACI herausgenommen und gewaltsam, d.h. ohne Rücksicht auf seinen Kasus, mit dem Verb des Relativsatzes (putātis) verbunden worden: von denen ihr glaubt.
Der ACI ist wie üblich als dass-Satz übersetzt. Da das Relativwort in ihm die Funktion des Akkusativ-Subjekts hatte, muss in dem dass-Satz als Ersatz für das herausgenommene Relativwort ein Demonstrativwort oder Personalpronomen stehen: dass sie sehr tapfer kämpfen.
Das bedeutet, dass das Relativwort zweimal übersetzt worden ist. Genau genommen sind die zwei Hälften des Relativworts getrennt übersetzt worden:
• der Stamm qu- im Relativsatz als Relativwort (von denen), wobei der ursprüngliche Kasus unberücksichtigt bleibt;
• die Endung -ōs im dass-Satz als Akkusativ-Subjekt des ACI (sie), wobei die ursprüngliche Wortart unberücksichtigt bleibt.
(2) Verschränkung Relativsatz mit PC
[a] nicht-identifizierender (= nicht-einschränkender) Relativsatz:
÷ Narrat omnēs errōrēs Aeneae, quōs passus in Italiam pervēnit.
[b] identifizierender (= einschränkender) Relativsatz:
÷ Narrat omnēs errōrēs, quōs passus Aenēās in Italiam pervēnit.
Der eigentliche übergeordnete Relativsatz ist (Aenēās) in Italiam pervēnit, das Relativwort quōs steht jedoch im untergeordneten PC quōs passus.
• Übersetzung nach Methode „relativischer Satzanschluss“:
[a] Er schildert alle Irrfahrten des Äneas. Nachdem er sie erlitten hatte, gelangte er nach Italien.
Der Relativsatz ist zum Hauptsatz geworden: gelangte er nach Italien.
Das PC ist als Subjunktionalsatz übersetzt: Nachdem er sie erlitten hatte.
Das Relativwort ist zum Personalpronomen geworden: sie.
[b] Nicht sinnvoll ist die Übersetzung:
Er schildert alle Irrfahrten. Nachdem Äneas sie erlitten hatte, gelangte er nach Italien.
Denn er schildert nicht alle Irrfahrten, die jemals stattgefunden haben, sondern nur die des Äneas, und auch Äneas hat nicht alle Irrfahrten erlitten, die jemals stattgefunden haben.
Du siehst auch hier: Beim identifizierenden Relativsatz funktioniert die Methode „relativischer Satzanschluss“ nicht.
• Übersetzung nach Methode „komplette Ebenenvertauschung“:
[a] Er schildert alle Irrfahrten des Äneas, die er erlitten hatte, bevor er nach Italien gelangte.
[b] Er schildert alle Irrfahrten, die Äneas erlitten hatte, bevor er nach Italien gelangte.
Das PC ist zum Relativsatz geworden: die Äneas erlitten hatte.
Der Relativsatz ist zum untergeordneten Nebensatz geworden: bevor er nach Italien gelangte.
• Übersetzung nach Methode „Ebenenvertauschung des Relativworts“:
[a] Er schildert alle Irrfahrten des Äneas, durch die er nach Italien gelangte, nachdem er sie erlitten hatte.
[b] Er schildert alle Irrfahrten, durch die Äneas nach Italien gelangte, nachdem er sie erlitten hatte.
Der Relativwort quōs ist aus dem PC herausgenommen und gewaltsam, d.h. ohne Rücksicht auf seinen Kasus, mit dem Verb des Relativsatzes (pervēnit) verbunden worden: durch die er/Äneas nach Italien gelangte.
Das PC ist als Subjunktionalsatz übersetzt. Da das Relativwort in ihm die Funktion des Akkusativ-Objekts hatte, muss in dem Subjunktionalsatz als Ersatz für das herausgenommene Relativwort ein Demonstrativwort oder Personalpronomen stehen: nachdem er sie erlitten hatte.
Das bedeutet, dass das Relativwort zweimal übersetzt worden ist. Genau genommen sind die zwei Hälften des Relativworts getrennt übersetzt worden:
• der Stamm qu- im Relativsatz als Relativwort (durch die), wobei der ursprüngliche Kasus unberücksichtigt bleibt;
• die Endung -ōs im Subjunktionalsatz als Akkusativ-Objekt (sie), wobei die ursprüngliche Wortart unberücksichtigt bleibt.