Über das Wort „Gerundium“
Genus, Betonung: das Gerundium
Plural: die Gerundien
Abkürzung: Ger., Gnd.
Herkunft: von lat. gerundium das Auszuführende betreffend (in der Antike Bezeichnung sowohl für Gerundium als auch für Gerundiv; zu gerundum = gerendum auszuführend, was ausgeführt werden soll; diese Form ist das Gerundivum von gerere ausführen, tragen)
Definition
Unter „Gerundium“ versteht man einen deklinierbaren Infinitiv mit einer für Verbformen ungewöhnlichen Eigenschaft: Er ist nicht mit einem Subjekt kongruent, sondern drückt mit seinen Deklinationsendungen (oft in Verbindung mit einer Präposition) seine eigene Funktion im übergeordneten Satz aus.
Bildung
Die Bildungsweise des Gerundiums (z.B. Gen. mone-nd-ī) entspricht der des Gerundivs, da es durch Umfunktionieren einiger Formen des Gerundivs entstanden ist. Gerundium und Gerundiv sind mit dem Kennzeichen -nd- vom Präsensstamm (z.B. monē-) des Verbs gebildet. Die genaue Bildungsweise richtet sich nach der jeweiligen Präsensstammkonjugation.
Deklination
Die Deklination des Gerundiums besteht aus vier umgewidmeten Deklinationsformen des Gerundivs. Das Gerundiv folgt den Adjektiven der ō/ā-Deklination. Hier ist die vollständige Deklination des Gerundivs noch einmal aufgeführt, wobei die vom Gerundium mitbenutzten Formen grau unterlegt sind, nämlich: Genitiv, Dativ, Akkusativ und Ablativ Singular Neutrum.
Besonderheiten in Deklination und Gebrauch des Gerundiums:
• Während das Gerundiv ein Passivpartizip ist (z.B. vocandus der gerufen werden soll, gerufen werdend, künftig gerufen werdend), hat das von ihm abgeleitete Gerundium fast immer aktivische Bedeutung (z.B. vocandī des Rufens).
• Der Akkusativ tritt nur in Verbindung mit Präpositionen auf; z.B.: ad vocandum zum Rufen, um zu rufen.
• Als Nominativ und Akkusativ Singular (ohne Präposition) des Gerundiums dient der gewöhnliche gleichzeitige Aktivinfinitiv (= Infinitiv Präsens Aktiv); z.B. vocāre rufen, das Rufen.
• Das Gerundium hat keinen Plural.
Verwendungsmöglichkeiten
(A) Nebensatzprädikat
Das Gerundium ist einzig und allein als Nebensatzprädikat verwendbar. Die Tatsache, dass die Deklinationsendung des Gerundiums seine eigene Funktion ausdrückt, widerspricht der Regel, dass ein Verb mit seinem Subjekt kongruent sein muss. Daher kann das Gerundium kein eigenes Subjekt besitzen. Das bedeutet, dass das Gerundium, obwohl es ein Infinitiv ist, niemals im ACI oder NCI verwendet werden kann.
(1) Gerundium als Infinitiv ohne Subjekt; z.B.:
÷ Urbs [oppūgnandō] capta est.
Die Stadt wurde [durch Bestürmung] erobert.
Mehr Beispiele findest du unter Infinitiv ohne Subjekt.
(2) Gerundium als Infinitiv mit übernommenem Subjekt:
Beispiele für alle möglichen Kasus (das übernommene Subjekt ist immer durch „SIE“ verdeutlicht):
÷ Mīlitēs cōnsilium [oppūgnandī] capiunt.
Die Soldaten fassen den Beschluss [des Bestürmens = zu bestürmen].
= Die Soldaten fassen den Beschluss, [dass SIE bestürmen].
(Funktion: Genitivattributsatz)
÷ Mīlitēs [oppūgnandō] student.
Die Soldaten widmen sich [dem Bestürmen = der Bestürmung].
= Die Soldaten widmen sich [der Tätigkeit, dass SIE bestürmen].
(Funktion: Dativobjektsatz)
÷ Mīlitēs [ad oppūgnandum] parātī sunt.
Die Soldaten sind [zum Bestürmen = zur Bestürmung] bereit.
= Die Soldaten sind [dazu] bereit, [dass SIE bestürmen].
(Funktion: Finalsatz)
÷ Mīlitēs urbem [oppūgnandō] cēpērunt.
Die Soldaten eroberten die Stadt [durch Bestürmen/Bestürmung].
= Die Soldaten eroberten die Stadt [dadurch, dass SIE sie bestürmten].
(Funktion: Instrumentalsatz)
÷ Mīlitēs [dīripiendō] iniūriam fēcērunt.
Die Soldaten taten Unrecht [, indem sie plünderten].
(Funktion: Modalsatz)
Beachte: Dass ein Gegenstand des übergeordneten Satzes als Subjekt des Gerundiums übernommen ist, wird durch keinerlei Kennzeichen angezeigt, es muss aus dem Sinnzusammenhang erschlossen werden. Bei umschriebenen Infinitiven hingegen gibt die Kongruenz einen Hinweis auf das übernommene Subjekt, siehe Infinitiv mit übernommenem Subjekt.
(B) Substantivierung nicht möglich
Vom Gerundium wird gerne behauptet, dass es sich um einen substantivierten Infinitiv handele. Diese Aussage ist falsch, denn im Lateinischen können Infinitive grundsätzlich nicht substantiviert werden, auch das Gerundium nicht. Genaueres dazu erfährst du unter Infinitiv im Abschnitt „Verwendungsmöglichkeiten“.
Wie unterscheidet man Gerundium und Gerundiv?
Gerundium und Gerundiv(um) sind in der gleichen Weise mit dem Kennzeichen -nd- vom Präsensstamm gebildet. Daher nennt man sie zusammenfassend „nd-Formen“. Es gibt also ein nd-Partizip = Gerundiv und einen nd-Infinitiv = Gerundium. Wie kannst du sie unterscheiden?
(1) Unterscheidung nach der Form
Das Gerundiv besitzt eine vollständige Adjektivdeklination, während dem Gerundium alle Formen des Maskulins, des Feminins und des Plurals fehlen. Allerdings stimmen alle vier Formen des Gerundiums mit Formen des Gerundivs überein.
(2) Unterscheidung durch die Kongruenz
• Das Gerundiv ist ein Partizip, das immer mit einem Subjektwort stehen muss. Dieses Subjekt kann in jedem Kasus stehen und ist mit dem Gerundiv kongruent, d.h. es stimmt mit ihm in Kasus, Numerus und Genus überein.
• Das Gerundium hingegen ist ein Infinitiv ohne eigenes Subjekt. Seine Deklinationsendungen drücken immer seine Funktion im übergeordneten Satz aus. Das bedeutet, dass das Gerundium nie mit einem anderen Wort kongruent sein kann.
(3) Unterscheidung durch die Verwendung im Satz
• Wenn eine nd-Form in Verbindung mit einer Form von esse sein steht (z.B. laudandus est er soll gelobt werden), handelt es sich immer um das nd-Partizip, also das Gerundiv. Wenn keine Form von esse dabeisteht, benötigst du ein anderes Unterscheidungsmittel.
• Wenn eine nd-Form die Endung -um hat, aber ohne Präposition steht, handelt es sich immer um ein Gerundiv.