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Historische Zusammenhänge

Der Expressionismus ist als eine gesamteuropäische Kunstbewegung zu verstehen, die von der Malerei ausging. Als literarische Epoche umfasst sie eine thematisch, sprachlich und stilistisch vielgestaltige Dichtung, die die allgemeine Aufbruchstimmung zu Beginn des neuen Jahrhunderts, aber auch die Fragen, Bewusstseinskrisen und Probleme der entfremdeten Verhältnisse sowie das politische Chaos der Zeit widerspiegelt. Der Erste Weltkrieg markierte einen bedeutsamen Einschnitt; durch diesen und die Zeit danach änderte sich die Welt entscheidend.

Kennzeichen der Epoche

In der bildenden Kunst entstand der Expressionismus als Reaktion auf die Ziele des Impressionismus, dem man eine radikale Steigerung des Ausdrucks entgegensetzte. Abgelehnt wurden auch die strenge naturwissenschaftliche Haltung des Naturalismus und der Ästhetizismus des Symbolismus. Expressionistische Darstellungsmittel sind radikale Vereinfachungen, Verzerrungen in Form und Proportion, grelle Kontraste durch intensive Farbgebung, übersteigerte Formgebung. Als literarische Epoche war der Expressionismus eine revolutionäre Bewegung junger Leute, die sich vor allem mit folgenden Problemen kritisch auseinandersetzten:

  • moderne Zivilisation und Großstadtwelt; Bewusstsein der Entfremdung und Verlorenheit
  • erstarrte Konventionen und verlogene Moralvorstellungen der Vätergeneration
  • Untertanengeist des „Wilhelminismus“
  • Schrecken und Sinnlosigkeit des Krieges

Den Vertretern der unterschiedlichen Richtungen (z. B. Kubismus, Futurismus, Dadaismus, Surrealismus) trafen sich in der Furcht vor einer elementaren Bedrohung geistiger Werte durch technischen Fortschritt, Bürokratie und Militärgewalt. Die Zusammenarbeit zwischen Schriftstellern, Grafikern und Malern war in kaum einer Epoche so intensiv: Maler wie Kokoschka, Kirchner, Beckmann illustrierten Bücher und Zeitschriften. Die Titel der Zeitschriften waren programmatisch: Der Aufbruch, Die Entfaltung, Der Aufschwung, Der Ruf.

In ihren dichterischen Visionen beschwörten die Expressionisten auf der einen Seite Verfall, Untergang und Weltende, auf der anderen Seite proklamierten sie den Glauben an eine Erneuerung der Literatur und des Menschen; Freundschaft und Liebe waren allen Menschen zugedacht, auch den Außenseitern der Gesellschaft. Das Verlangen nach neuen Ausdrucksformen (Zynismus, Surrealismus, Groteske, Karikatur) verband sich mit dem Ziel, bisherige Verkrustungen in der Sprache und epigonale Formen aufzulösen; typische sprachliche Mittel waren:

  • Auflösung herkömmlicher Wort- und Satzstrukturen; parataktischer Satzbau und elliptische Konstruktionen; unverbundene Reihung einzelner unzusammenhängender Bilder
  • Zerstörung der gewohnten Vorstellungen von Raum und Zeit
  • Erschaffung neuer Wortbedeutungen (Neologismen)
  • Suche nach neuen Sprachbildern (Metaphern, Chiffren)

Der folgende Auszug aus dem Programmgedicht Form ist Wollust von Ernst Stadler macht deutlich, dass im Sinne der Programmatik die Abkehr von der Form (der alten Dichtungsvorstellungen) betont und demgegenüber das Recht des subjektiven Ausdrucks (Expressionismus als Ausdruckskunst) hervorgehoben wird.

⇒ ZITAT

Form und Riegel mussten erst zerspringen,
Welt durch aufgeschlossene Röhren dringen: …
Form will mich verschnüren und verengen,
doch ich will mein Sein in alle Weiten drängen -
Form ist klare Härte ohn’ Erbarmen,
doch mich treibt es zu den Dumpfen, zu den Armen, …
(Ernst Stadler, Form ist Wollust; entst. 1914)

Besonders mit der Bewegung des Dadaismus (das Kinderwort Dada bedeutet zugleich Protest, Verspottung und Suche nach neuen Formen des Ausdrucks), die Impulse des italienischen Futurismus verarbeitete, sollten überkommene Kunstauffassungen bzw. Konventionen entlarvt und die Sprache von traditionellen Strukturen befreit werden (Zerstörung der herkömmlichen Syntax durch zufällige Anordnung der Substantive, Veränderung der Wortarten, Abschaffung der Zeichensetzung). Die Surrealisten (vgl. Bilder von Alfred Kubin und Salvador Dalí) stellten absurde Erlebnisse, Schreckenserfahrungen, groteske Visionen und Halluzinationen in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Literarische Beispiele hierfür sind die Gedichte Georg Heyms und die Prosatexte Franz Kafkas, dessen Werk eindringlich die Probleme des modernen Lebens darstellt: Einsamkeit, Entfremdung und Suche nach Erlösung in einer unüberschaubaren, inhumanen und absurden Welt.

Auswahl wichtiger Autoren und Werke

Ernst Barlach (1870-1938): Sündflut

August Stramm (1874-1915): Gedichte

Georg Kaiser (1878-1945): Die Bürger von Calais

Franz Kafka (1883-1924): Das Urteil; Die Verwandlung; Der Prozess

Gottfried Benn (1886-1956): Gedichte

Georg Trakl (1887-1914): Gedichte

Ernst Toller (1893-1939): Hinkemann


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