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Wie du Wahlplakate analysierst

Schritt-für-Schritt-Anleitung

Aufgabe

Interpretiere das Wahlplakat.

Frauen! Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten. Wählt sozialdemokratisch!
Wahlplakat der SPD zur Wahl der Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919
© Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung

Das musst du wissen

Vor jeder Wahl kämpfen die politischen Parteien im Fernsehen, im Internet und auf der Straße um Aufmerksamkeit und um die Stimmen der Wähler. Wahlplakate spielen dabei eine wichtige Rolle. Sicher sind sie dir schon einmal aufgefallen, da sie schon Wochen vor dem Wahlsonntag überall in der Stadt und an Straßenrändern für die Parteien und ihre Kandidaten werben.

Plakate sollen informieren, doch vor allem sollen sie auffallen und lange im Gedächtnis bleiben. Ein originelles Bild dient oft als „Eyecatcher“, die Ziele einer Partei werden in kurzen, „plakativen“ Slogans zusammengefasst. Für ihre Wahlwerbung nutzen die Parteien verschiedene Strategien, die vor allem auf emotionaler Ebene wirken: Sie wecken zum Beispiel Hoffnungen und machen Versprechungen. Sie versuchen Ängste vor dem politischen Gegner zu schüren und Feindbilder aufzubauen. Oder sie werben einfach mit einem sympathischen, vertrauenerweckenden Gesicht für ihre Kandidaten.

Plakate sind seit der Erfindung des Buchdrucks im 16. Jahrhundert ein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die große Zeit der politischen Plakate begann jedoch in der Weimarer Republik.

Wahlplakate sind eine wichtige historische Quelle, aus der du Rückschlüsse auf Stimmungen in der Bevölkerung und politische Grundhaltungen ihrer Zeit ziehen kannst.

Schritt 1: Beschreibe die formalen Merkmale

Nenne zuerst den Urheber (Auftraggeber) des Plakats, den Anlass der Veröffentlichung und das Thema. Der Anlass der Veröffentlichung ist wegweisend für deine Interpretation. Du erfährst ihn oft aus der Bildunterschrift oder kannst ihn aus dem Plakatmotiv ableiten.

Tipp

Halte deinen ersten spontanen Eindruck fest, bevor du mit der Beschreibung der formalen Merkmale beginnst. Wie wirkt das Plakat auf dich? Welche Gefühle löst das Motiv bei dir aus? Am Ende kannst du diesen ersten Eindruck mit der Intention des Urhebers vergleichen.

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Wer ist der Auftraggeber?
  • Wann erschien das Plakat?
  • Aus welchem Anlass erschien das Plakat?
  • Welches Thema behandelt das Plakat?
Beispiel

Das Plakat ist ein Wahlplakat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands von 1919. Die SPD wirbt mit dem Slogan „Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten“ vor allem um die Stimmen der Frauen bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Thema ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen.

Schritt 2: Ordne das Plakat in den historischen Kontext ein

Du kannst das Plakat besser beschreiben und interpretieren, wenn du es zuerst in den historischen Zusammenhang einordnest. Bezieh dein Vorwissen ein und erkläre, auf welche politischen und gesellschaftlichen Ereignisse oder Konflikte das Motiv anspielt.

Beispiel

Am 19. Januar 1919 wurde die verfassunggebende Nationalversammlung der Weimarer Republik gewählt. Zum ersten Mal durften bei dieser Wahl auch die deutschen Frauen wählen. Das war ein großer Sieg für alle, die jahrelang für das Frauenwahlrecht gekämpft hatten. Die SPD hatte es 1891 als erste Partei in ihr Programm aufgenommen. Doch in der SPD wie in der Gesellschaft insgesamt hatten Anfang des 20. Jahrhunderts die Männer das Sagen. Frauen, die sich für Gleichberechtigung einsetzten, mussten sich gegen viele Vorurteile wehren: Als „natürlicher“ Platz der Frau galten das Haus und die Familie. Politik und Bildung waren „Männersache“. Im Ersten Weltkrieg brachen die traditionellen Geschlechterrollen dann ein Stück weit auf. Da so viele Männer an der Front waren, mussten Frauen die Männer in Männerberufen und auch zu Hause ersetzen. Das stärkte das Selbstbewusstsein vieler Frauen.

Als 1919 die Weimarer Republik gegründet wurde, bekamen Frauen endlich „dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ wie die Männer (Art. 109 der Weimarer Verfassung). Bei der Wahl im Januar 1919 warben alle demokratischen Parteien intensiv um die Stimmen der ca. 20 Millionen Wählerinnen.

Schritt 3: Beschreibe das Plakat

Beschreibe nun alle Bild- und Textelemente des Wahlplakats genau. Überleg dir eine sinnvolle Reihenfolge: z. B. vom Vorder- zum Hintergrund, vom Bild zum Text. Achte auf Farben, Symbole und darauf, wie die einzelnen Gegenstände und Personen zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Welche Personen sind abgebildet?
  • Wie sind sie dargestellt (Haltung, Gesichtsausdruck)?
  • Welche Gegenstände und Symbole sind abgebildet?
  • Welche Gestaltungsmittel werden eingesetzt (Farbgebung, Größenverhältnisse, Perspektive, Verhältnis Bild/Text)?
Beispiel

Im Zentrum des Plakats sieht man einen Mann und eine Frau in alltäglicher Kleidung, die ernst und entschlossen geradeaus blicken. Die beiden scheinen direkt auf den Betrachter zuzugehen, der Mann einen Schritt voraus. Einen Arm hat er um die Hüfte der Frau gelegt, eine Hand ist zur Faust geballt. Die Frau stützt einen Arm in die Seite, den anderen reckt sie weit nach oben. Sie hält eine Fahnenstange und schwenkt eine riesige rote Fahne. Darauf steht links oben in weißen Buchstaben das Wort: „Frauen!“

Das gezeichnete Bildmotiv nimmt etwa zwei Drittel des Plakats ein. Im unteren Drittel steht in schwarzen Druckbuchstaben: „Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten“. Darunter, größer und in roter Schreibschrift, sticht der Aufruf „Wählt sozialdemokratisch!“ ins Auge. Ganz unten wird die Partei genannt, die hier um Wählerstimmen wirbt: „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“.

Die Farbe Rot dominiert das Plakat. Der Zeichner setzt zudem Hell-Dunkel-Kontraste ein: Die Kleidung des Paares hebt sich wirkungsvoll vom Rot der Fahne und vom weißen Hintergrund ab. Es wirkt, als würden die beiden Personen von der Sonne angestrahlt: Ihre linke Gesichtshälfte ist hell, die rechte Gesichtshälfte dunkel. Die Figur des Mannes wirft einen Schatten. An dessen Ende steht in kleinen Buchstaben der Name des Künstlers, der das Wahlplakat für die SPD entwarf: „Kirchbach“.

Schritt 4: Interpretiere das Plakatmotiv

Lies nun deine Beschreibung noch mal aufmerksam durch und leite die Bedeutung der zentralen Bild- und Textelemente ab. Dazu musst du den historischen Kontext einbeziehen. Erkläre, wie das Plakatmotiv auf einen Wähler oder eine Wählerin des Jahres 1919 wohl wirkte und welche Zielgruppe das Motiv ansprechen sollte.

Beispiel

Die Körperhaltung und der Blick des Paares drücken Dynamik, Entschlossenheit und Selbstbewusstsein aus. Vorwärtsgewandt und aufrecht gehen sie in eine Zukunft und wollen gemeinsam politische Verantwortung übernehmen.

Rot ist die Farbe der Arbeiterbewegung und die rote Fahne ein Erkennungszeichen sozialistischer und kommunistischer Bewegungen. Die Frau hält die rote Fahne wie ein Siegeszeichen hoch: Der lange Kampf um politische Gleichberechtigung ist endlich gewonnen. Die Körperhaltung des Mannes drückt Solidarität aus: Er unterstützte den Kampf der Frauen für das Frauenwahlrecht und für Gleichberechtigung.

Der Schriftzug „Frauen!“ verweist direkt auf die Zielgruppe des Plakats. Die SPD fordert die Frauen mit einem großen Ausrufezeichen dazu auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten“ kann man als Hinweis verstehen, dass Wählen nicht nur ein Recht, sondern auch Bürgerpflicht ist. Der Slogan könnte aber auch als Versprechen gelesen werden: Die SPD sorgt dafür, dass Frauen gemeinsam mit den Männern politische Verantwortung übernehmen und die Zukunft der Republik mitgestalten können. Die SPD präsentiert sich als die Partei, die sich für die Gleichberechtigung der selbstbewussten Frau einsetzt. An sie und an alle Männer, die die Frauen solidarisch unterstützen, richtet sich der Appell: „Wählt sozialdemokratisch!“

Schritt 5: Beurteile das Plakat

Fasse zum Schluss die Gesamtaussage noch noch einmal zusammen und erkläre, wie die gestalterischen Mittel die Botschaft des Plakats unterstreichen. Vergleiche die Aussage des Plakats mit der politischen Situation der Zeit. Dann erkennst du, ob zum Beispiel Hoffnungen geweckt oder ob Ängste erzeugt werden, um vor dem politischen Gegner zu warnen.

Tipp

Wenn du das Plakat mit den Wahlplakaten anderer Parteien zum gleichen Thema vergleichst, bekommst du ein gutes Bild der gesellschaftlichen Stimmung zur Zeit der Veröffentlichung.

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Welche Wirkung wird mit welchen gestalterischen Mitteln erzeugt?
  • Wie ist der Charakter des Plakats (z. B. aggressiv, appellativ, satirisch ...)?
  • Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Plakatmotiv und der gesellschaftlichen und politischen Situation Situation der Zeit?
Beispiel

Das SPD-Plakat zeigt die Frau als selbstbewusste und kämpferische Kameradin des Mannes. Sie will gleiche Rechte und ist bereit ist, gleiche Pflichten zu erfüllen. In einer Zeit, in der viele Deutsche der Meinung waren, Frauen sollten sich aus der Politik heraushalten und sich um Familie und Haushalt kümmern, wirkt dieses Frauenbild sehr modern. Viele Frauen wünschten sich vermutlich, ebenso selbstbewusst und kämpferisch auftreten zu können wie die Frau auf dem Plakat. Die Lebensrealität sah aber oft ganz anders aus: Vor allem Arbeiterfrauen waren sehr belastet durch die Arbeit in der Fabrik und in der Familie. Betrachtet man das Motiv, denkt man an positive Begriffe wie Stärke, Selbstbewusstsein, Solidarität. Der Wähler sollte sich mit den dargestellten Personen identifizieren können. Schrift und Bild zusammen bilden einen starken Appell und wecken Hoffnung.

Aus den Wahlplakaten, die zu Beginn der Weimarer Republik das Frauenwahlrecht und die Rolle der Frau thematisierten, erfährt man viel über das Frauenbild der Zeit. Parteien des linken Spektrums (sozialdemokratische und sozialistische Parteien) zeigten die Frau als Kämpferin. Parteien des rechten Spektrums (konservative und nationalistische Parteien) präsentierten einen anderen Frauentyp: mütterlich, pazifistisch, familienorientiert, aber auch schutzbedürftig.

Wie du Werbung als historische Quelle untersuchst

Schritt-für-Schritt-Anleitung

Aufgabe

Interpretiere die Werbung.

 

„Heute klappt es wie am Schnürchen“, Werbung für Sauerkraut, Bundesrepublik, 1960er Jahre.

Das musst du wissen

Werbung begegnet uns heute auf Schritt und Tritt: schon morgens beim ersten Blick auf das Smartphone, am Frühstückstisch oder auf dem Weg zur Schule.

Ob du ein Werbeplakat als historische Quelle analysierst oder ob dir eine Anzeige auf deinem Smartphone ins Auge springt – beachte immer, dass  Werbung dich zum Kauf eines Produkts bewegen möchte. Dazu entwerfen Werbeagenturen Idealbilder, spielen mit Klischees und appellieren mit Versprechungen an die Wünsche und Sehnsüchte potenzieller Käufer. Gleichzeitig ist Werbung ein Spiegel dieser Wünsche und Sehnsüchte und daher als historische Quelle interessant. Werbung zeigt, welche gesellschaftlichen Haltungen zu einer bestimmten Zeit verbreitet und welche Werte wichtig waren.

Schon seit der Erfindung des Buchdrucks im 17. Jahrhundert warben Händler in Zeitungen und auf Flugblättern für ihre Waren. Mit der Industrialisierung begann dann die große Zeit der Werbung. Firmen starteten Werbekampagnen, die bestimmte Zielgruppen ansprechen sollten. Sie entwickelten eingängige Markennamen, von denen manche bis heute mit dem Produkt gleichgesetzt werden (z. B. „Uhu“ für Klebstoff).

Jedes Medium (Plakat, Radio-/Fernsehspot, Anzeige) arbeitet mit anderen Gestaltungsmitteln. Doch die Wirkungsweise ist vergleichbar. Die folgenden Arbeitsschritte sind Anhaltspunkte für die Analyse und müssen für unterschiedliche Formen der Werbung angepasst werden.

Schritt 1: Beschreibe die formalen Merkmale

Verschaffe dir einen ersten Überblick und nenne alle Informationen, die du bekommst: das Produkt, den Hersteller, die Entstehungszeit der Werbung. Nenne nicht nur die Informationen, die gegeben sind, sondern verweise auch auf das, was fehlt.

Tipps:

Halte deinen ersten Eindruck fest, bevor du mit der Analyse beginnst. Fühlst du dich von der Werbung angesprochen? Wie wirkt das Motiv auf dich? Formuliere in der Einleitung eine These über die Zielgruppe und überprüfe diese zum Schluss (Schritt 5): Wird sie durch deine Analyse bestätigt oder kommst du zu einem anderen Ergebnis?

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Um welche Art der Werbung handelt es sich (Plakat/Spot/Anzeige)?
  • Wer wirbt für welches Produkt?
  • Wann und wo wurde die Werbung veröffentlicht?
  • Wer sollte vermutlich als Zielgruppe angesprochen werden?

Beispiel:

Die Firma Hengstenberg warb mit diesem Motiv in der Bundesrepublik für das Sauerkraut „Mildessa“ aus der Dose. Ob es sich bei der Werbung um eine Zeitungsanzeige oder ein Plakat handelte, kann man nicht erkennen. Auch wann diese Werbung veröffentlicht wurde, ist nicht genau bekannt. Aus der Bildunterschrift geht aber hervor, dass sie aus den 1960er-Jahren stammt.

Die Werbung vermittelt das Bild einer glücklichen kleinen Familie, die sich auf das gemeinsame Abendessen freut. Das Motiv sollte Familien ansprechen. Wahrscheinlich waren Mütter die Hauptzielgruppe, da sie sich um die Kinder und den Haushalt kümmerten. 

Schritt 2: Ordne die Werbung in den historischen Kontext ein

Du kannst das Motiv der Werbung besser analysieren und deuten, wenn du es in den historischen Kontext einordnest: Was weißt du über die Entstehungszeit? Dabei geht es nicht um konkrete politische Ereignisse, sondern um gesellschaftliche Haltungen und Wertvorstellungen, zum Beispiel die Bedeutung der Familie oder die Geschlechterrollen. 

Beispiel:

In den 1950er Jahren war die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in der Bundesrepublik klar: Der Mann arbeitete und verdiente das Geld, die Frau kümmerte sich um Haus und Kind. Zwar waren Männer und Frauen laut Grundgesetz gleichberechtigt, die Realität sah aber oft anders aus: Der Mann war das Familienoberhaupt und hatte in allen wichtigen Angelegenheiten das Sagen. Bis 1958 durften Frauen zum Beispiel nicht ohne Zustimmung ihres Mannes einen Arbeitsvertrag unterschreiben.

In der Bundesrepublik gab es ab Mitte der 1950er-Jahre einen starken wirtschaftlichen Aufschwung. Das Einkommen der Haushalte stieg, viele Familien konnten sich nun ein Auto oder einen Fernseher leisten. Auch die Hausarbeit der Frauen veränderte sich in der Zeit des „Wirtschaftswunders“: Mithilfe einer Waschmaschine und Spülmaschine konnten viele Aufgaben leichter und schneller erledigt werden. Und auch das Kochen wurde durch Fertiggerichte und Küchenhelfer revolutioniert.

Schritt 3: Beschreibe die Werbung

Betrachte die Anzeige, das Plakat oder den Werbespot genau und beschreibe alles, was du siehst. Deine Beschreibung ist Grundlage für die anschließende Deutung (Interpretation).

Achte dabei vor allem darauf,

  • was die Werbung zeigt (Personen, Gegenstände, Gebäude),
  • welche Gestaltungsmittel eingesetzt werden (Perspektive, Größenverhältnisse, Farben, Eyecatcher/Blickfang),
  • welche Slogans verwendet werden.

Tipp: Werbung spielt oft mit allgemein verbreiteten Rollenbildern (Klischees). Achte besonders darauf, wie Frauen und Männer dargestellt werden. Mit welchen Adjektiven kannst du sie beschreiben?

Beispiel:

Der Blick des Betrachters fällt zuerst auf eine Frau und einen etwa 10-jährigen Jungen, die im Zentrum des Bildes auf dem Boden vor einem Herd mit geöffneter Ofentür knien. Auf dem Herd steht ein Wasserkessel. Die Frau holt gerade einen Kuchen oder einen Auflauf aus dem Ofen. Die beiden schauen mit fröhlichem Lachen zu einem Mann auf, der hinter ihnen im Türrahmen steht. Der Blick des Mannes ist ernst, aber freundlich. Er hat eine Aktentasche unter den Arm geklemmt, trägt einen dunklen Anzug, Krawatte und ein weißes Hemd. Der Mann zeigt auf die Uhr an der Wand: Es ist fünf nach eins.

Der Junge trägt ein geringeltes T-Shirt und eine kurze Hose, die Frau eine weiße Bluse und eine rot-schwarze Schürze über ihrem schwarzen Rock. Nur der Anzug und der Rock sind dunkel, sonst überwiegen helle Farben.

Unter dem Bild – es ist kein Foto, sondern eine Zeichnung – sieht man eine große geöffnete Dose Sauerkraut. Darunter stehen klein der Preis und die Eigenschaften des Krauts: Es hat viele Vitamine und bleibt immer frisch. Neben der Konservendose steht ein Teller mit einem fertig gekochten Sauerkrautgericht. Rechts daneben der einprägsame Slogan: „Heute klappt es wie am Schnürchen.“ Die Erklärung wird gleich in einem längeren Text mitgeliefert: Es gibt nämlich Mildessa-Weinsauerkraut.

Schritt 4: Interpretiere das Werbemotiv

Lies nun deine Beschreibung noch einmal genau durch und erkläre die Bedeutung zentraler Bildelemente und des Gesamtmotivs im historischen Kontext. Achte dabei genau auf die Zielgruppe, die das angepriesene Produkt kaufen soll. Erkläre, mit welchen Mitteln die Werbemacher ihre Zielgruppe ansprechen wollten und welches Bild der Zielgruppe entworfen wird.

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Wer ist die Zielgruppe der Werbung und welches Image wird von ihr verbreitet?
  • Welche Botschaft vermittelt die Werbung?
  • Werden Ängste oder Hoffnungen geweckt oder Versprechungen gemacht?
  • Wird mit prominenten Persönlichkeiten geworben?
  • Wird auf „wissenschaftliche“ Erkenntnisse verwiesen?

Beispiel:

Das Motiv zeigt eine typische Familiensituation der 1950er-Jahre und frühen 1960er-Jahre: Der Mann kommt zum Mittagessen nach Hause, die Frau ist gerade mit dem Kochen fertig, vielleicht hat der Junge ihr nach der Schule mit der Vorbereitung des Essens geholfen. In den 50er-Jahren war es nicht unüblich, dass der Mann in der Mittagspause nach Hause zum Essen kam. Unüblich waren dagegen Ganztagsschulen, und auch dass Frauen berufstätig waren, war nicht die Regel.

Die Frau und der Junge knien vor dem Herd und schauen zum Familienoberhaupt auf. Der Mann steht und deutet mit dem Finger auf die Uhr an der Wand. Er hat also den Überblick und erwartet, dass das Mittagessen rechtzeitig auf dem Tisch ist. In diesem Motiv spiegelt sich die klassische Rollenverteilung der Zeit: Der Mann arbeitet und bestimmt, wo es lang geht, die Frau kümmert sich um den Haushalt und sorgt dafür, dass es Mann und Kindern gut geht. Der Mann war gesellschaftlich höher gestellt und es gab auch noch zahlreiche Gesetze, die Frauen rechtlich benachteiligten.

Nur die Schürze der Frau verweist auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter. Sie ist ansonsten sehr adrett gekleidet und auch die Frisur sitzt perfekt. Darin zeigt sich ein weiterer Anspruch an die perfekte Ehefrau zur Zeit des Wirtschaftswunders: Sie sollte natürlich auch hübsch und strahlend sein. An dieses Ideal knüpft die Hengstenberg-Werbung an. Der Slogan „Heute klappt es wie am Schnürchen“ suggeriert, dass dieses Fertigprodukt dabei hilft, alle Anforderungen mit spielender Leichtigkeit meistern zu können. Hier verwenden die Werbemacher eine bekannte Redewendung. Das Schnürchen wird zur Metapher für das Kraut. Die Eigenschaften, mit denen die Firma ihr Sauerkraut aus der Dose bewirbt, sollen die Hausfrau davon überzeugen, dass man die Familie auch mit Konserven gesund ernähren kann. Die Werbemacher packen drei Eigenschaften ihres Produkts in zwei Schlagworte: Das Kraut hat viele Vitamine, macht stark, bleibt immer frisch. Mit diesen Schlagworten will der Hersteller vielleicht Vorbehalte gegenüber Fertigprodukten entkräften, die damals noch nicht so verbreitet waren.

Da die Werbung viel Text enthält, handelt es sich wahrscheinlich eher um eine Anzeige als um ein Plakat. Vielleicht wurde es in einer Frauenzeitschrift veröffentlicht. Das Idealbild der glücklichen Familie sollte bei der Zielgruppe, den Frauen, die Hoffnung wecken, alle Anforderung des Alltags mithilfe von Mildessa-Weinsauerkraut spielend und fröhlich erfüllen zu können.

Schritt 5: Beurteile die Werbung

Fasse zum Schluss noch einmal zusammen, mit welcher Botschaft bei welcher Zielgruppe das Bedürfnis nach dem Produkt geweckt werden sollte. Hier kannst du auf deinen ersten Eindruck zurückgreifen und mit dem Ergebnis deiner Interpretation vergleichen. Erläutere dann, welche gesellschaftlichen Werte und Haltungen man aus der Werbebotschaft ableiten kann. Welche Ängste oder Hoffnungen sollen beim Betrachter angesprochen werden? Wenn du gut über den historischen Kontext informiert bist, kannst du zum Schluss Widersprüche zwischen der Werbebotschaft und der realen gesellschaftlichen Situation aufdecken. Du kannst zudem erläutern, ob du die Werbekampagne in ihrer Zeit für erfolgreich hältst.

Beispiel:

Die Hersteller des Mildessa-Weinsauerkrauts knüpfen mit ihrer Werbung an die Wünsche vieler Frauen in den 1950er Jahren an: dem Idealbild von Mutter, Ehefrau und Hausfrau zu entsprechen. Darüber hinaus suggeriert die Werbung aber, dass all diese Aufgaben mit Leichtigkeit, Fröhlichkeit und perfektem Aussehen erfüllt werden können. Hauptzielgruppe sind Frauen und nicht, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, die ganze Familie.

In den 1950er-Jahren lag der Zweite Weltkrieg noch nicht lange zurück. Man wollte Sicherheit und Wohlstand und die Familie als Bezugspunkt war enorm wichtig. Viele Frauen, die im Krieg auch die Aufgaben der Männer übernommen und viel Verantwortung getragen hatten, begaben sich später in die Rolle der Hausfrau zurück.

Das Werbemotiv entwirft ein Idealbild, das nichts darüber aussagt, wie die Frauen ihre Rolle wahrgenommen haben und ob sie sich mit ihr abfinden wollten. Interessant wäre es zu untersuchen, ob das hier zum Ausdruck kommende Frauen- und Familienbild auch in der DDR verbreitet war und ob die Werbung dort mit ähnlichen Klischees spielte.

Wie du Statistiken auswertest und interpretierst

Schritt-für-Schritt-Anleitung

Aufgabe

Interpretiere die Statistiken M1 und M2

M1 Das Wachstum deutscher Großstädte

 

Bevölkerung im Jahr

1875                            1910

Wachstum in %
Berlin 966.859 2.071.257 114,2 %
Leipzig 127.387 589.850 363,0 %
München 193.024 596.467 209,0 %
Essen  54.790 194.653 437,8 %

Zitiert nach: Gerd Hohorst, Jürgen Kocka, Gerhard A. Ritter (Hg.), Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870-1914, München (C. H.  Beck), S. 45.

M2 Bevölkerung im Deutschen Reich

Jahr                               Bevölkerung (in Tausend)
1871 41.010
1910 64.926

Zitiert nach: Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung, Frankfurt (Suhrkamp) 1985, S. 202.

 

Das musst du wissen

Statistiken zu den unterschiedlichsten Themen begegnen dir im Alltag und in den Medien auf Schritt und Tritt: Mal geht es um die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen, mal um das Wirtschaftswachstum, mal um Medaillen bei Olympia oder um Wahlergebnisse. Doch was ist eigentlich eine Statistik? Kurz gesagt: Eine Statistik ist eine Zusammenstellung von Zahlen und Daten zu einem bestimmten Ereignis. Aus diesem Datenmaterial kann man Aussagen über historische, politische oder wirtschaftliche Entwicklungen ableiten.

Statistiken sind eine Sonderform der historischen Quelle. Sie sind eine Mischung aus Quelle und Darstellung. Eine Statistik basiert zwar auf gesichertem Zahlen- und Datenmaterial. Doch haben Wissenschaftler diese Daten ausgewählt, in einen bestimmten Zusammenhang gesetzt und dadurch schon gedeutet.

Statistiken können dir in verschiedenen Darstellungsformen begegnen. Aus dem Mathematikunterricht kennst du Diagramme und Verlaufskurven. Im Geschichtsunterricht begegnen dir häufig auch Tabellen mit Zahlen.

Schritt 1: Nenne die formalen Merkmale der Statistik

Verschaffe dir zuerst einen Überblick über das Zahlenmaterial und das Thema der Statistik. Nenne den Zeitraum und den geografischen Raum, auf den sich die Daten beziehen. Beachte auch, wo und wann die Daten veröffentlicht wurden und in welcher Form.

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Was ist das Thema der Statistik?
  • Wann und wo wurde die Statistik veröffentlicht?
  • Welche Darstellungsform liegt vor (z. B. Tabelle, Diagramm, Verlaufskurve)?

Beispiel:

Das Thema der Statistik M1 ist das Wachstum deutscher Großstädte zwischen 1875 und 1910. Die Zahlen wurden in Form einer Tabelle veröffentlicht und stammen aus einem wissenschaftlichen Buch über die Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreichs. Wann das Buch erschienen ist, ist nicht angegeben.

M2 zeigt die Entwicklung der Gesamtbevölkerung im Kaiserreich zwischen 1871 und 1910. Die Zahlen stammen aus einem Werk über die Geschichte der Urbanisierung (Verstädterung), das 1985 erschienen ist.

Schritt 2: Ordne die Statistik in den historischen Kontext ein

Erkläre nun kurz, auf welches historische Ereignis oder auf welche Epoche sich die Statistik bezieht. Achte auf das Thema sowie auf die Jahresangaben in der Statistik und beziehe dein Hintergrundwissen ein.

Beispiel:

Die Statistiken beschreiben das Wachstum deutscher Städte und das Bevölkerungswachstum im Kaiserreich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Diese Zeit war eine Hochphase der Industrialisierung, die in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts begann.

Schritt 3: Analysiere die Statistik

Untersuche nun das Zahlenmaterial genau (Analyse). Nenne alle Einzelinformationen, die dir die Statistik bietet, und setze sie zueinander in Bezug. Achte dabei auf besonders auffällige Werte.

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Auf welchen Zeitraum oder Zeitpunkt beziehen sich die Daten?
  • Um welches Gebiet geht es?
  • In welcher Einheit/Größe sind die Zahlen angegeben?
  • Welche Einzelinformationen kannst du der Statistik entnehmen?
  • Gibt es auffällige Zahlen (extreme Werte, plötzliche Sprünge)?

Beispiel:

Die Statistik M1 vergleicht die Einwohnerzahl der Städte Berlin, Leipzig, München und Essen in den Jahren 1875 und 1910. Die absoluten Zahlen geben Auskunft darüber, wie viele Menschen tatsächlich in den Städten wohnten, die Prozentangaben zeigen, wie stark die einzelnen Städte gewachsen sind.

Berlin hatte im Jahr 1875 knapp eine Million Einwohner. 1910 waren es mehr als doppelt so viele: Mehr als 2 Millionen Menschen wohnten in der Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs. Auch Leipzig und München waren mit 127.387 bzw. 193.024 Einwohnern 1875 schon Großstädte. Die Bevölkerung von Leipzig wuchs bis 1910 um über 363 Prozent auf über 589.000 Einwohner an. München war 1910 mit rund 596.000 Einwohnern ungefähr gleich groß wie Leipzig. Die bayerische Hauptstadt war aber nicht ganz so stark gewachsen: Die Bevölkerung wuchs um 200 Prozent. Das größte Wachstum zeigt Essen im untersuchten Zeitraum. Hatte die Stadt im Ruhrgebiet im Jahr 1875 noch knapp 55.000 Einwohner, waren es 1910 mehr als 194.000. Die Bevölkerung von Essen nahm um 437,8 Prozent zu. 

 Aus M2 geht hervor, dass auch die Gesamtbevölkerung im Deutschen Kaiserreich in dieser Zeit stark zunahm: von ca. 41 Millionen im Jahr 1871 auf fast 65 Millionen im Jahr 1910. Das ist ein Anstieg um das 1,5-fache.

Schritt 4: Interpretiere die Statistik

Jetzt geht es darum, die Ergebnisse deiner Analyse zu deuten und im historischen Zusammenhang zu erklären (Interpretation). Prüfe, ob du eine Entwicklung aus dem Zahlenmaterial ableiten kannst, und erkläre sie. Hier musst du dein Hintergrundwissen einbeziehen.

Beispiel:

Die Statistik M1 zeigt das enorme Wachstum der deutschen Städte in der Hochphase der Industrialisierung, eine Erklärung für diesen Prozess kann man aus der Entwicklung der Gesamtbevölkerung (M2) ableiten.

Das starke Bevölkerungswachstum im Kaiserreich (M2) hängt mit der Industrialisierung zusammen, die ab ca. 1840 in Deutschland einsetzte. Der technische Fortschritt führte zu Verbesserungen in der Landwirtschaft.  Moderne Anbaumethoden und der Einsatz von Maschinen führten zu steigender Produktion. Mehr Menschen konnten dadurch besser ernährt werden. Die Fortschritte in Wissenschaft und Technik führten auch zu besserer medizinischer Versorgung, sodass die Lebenserwartung stieg.

Die vielen Menschen brauchten Arbeit, die sie in den Städten fanden. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Hochphase der Industrialisierung: Eisenbahnlinien wurden gebaut, Kohleförderung in großem Stil ermöglichte die Produktion von Stahl, viele Maschinenfabriken entstanden. Die vier in M1 untersuchten Städte waren industrielle Zentren, die viele Menschen anzogen.

Die Stadt Essen im Ruhrgebiet wuchs besonders stark. Dort wurden schon im Mittelalter Kohlevorkommen entdeckt. Aber erst die Erfindung der Dampfmaschine erlaubte die Förderung von großen Mengen des Rohstoffs. Die Region entwickelte sich zu einem Zentrum des Bergbaus und der Stahlindustrie.

Leipzig war im 19. Jahrhundert ein Verkehrsknotenpunkt und ein Handelszentrum. Es gab hier eine große Messe. Außerdem zog die Maschinen- und Textilindustrie viele Arbeiter an. München hatte auch eine führende Stellung im Maschinen- und vor allem im Eisenbahnbau. Berlin war als Hauptstadt des Kaiserreichs zudem kulturelles, politisches und wissenschaftliches Zentrum.

Schritt 5: Beurteile die Statistik

Zum Schluss beurteilst du den Aussagewert der Statistik. Zeige auf, welche Informationen fehlen. Kannst du aus den Daten Rückschlüsse auf gesellschaftliche Entwicklungen ziehen? Dann erkläre sie.

Folgende Fragen können dir helfen:

  • Ist die Quelle der Daten vertrauenswürdig?
  • Worüber gibt die Statistik keine Auskunft?
  • Ist die Darstellung übersichtlich?
  • Besteht die Gefahr der Manipulation oder Verfälschung (vor allem bei Diagrammen und Kurven)?
  • Welche weiteren Statistiken oder Informationen braucht man, um  gut über das Thema informiert zu sein?

Beispiel:

Die beiden Statistiken M1 und M2 wurden in wissenschaftlicher Sekundärliteratur veröffentlicht. Man kann also davon ausgehen, dass die Zahlen vertrauenswürdig sind.

Beide Statistiken beleuchten nur einen kleinen Ausschnitt einer Entwicklung. Ein besseres Bild über die Bevölkerungsentwicklung zur Zeit der Industrialisierung würde entstehen, wenn man auch Daten von der Anfangszeit der Industrialisierung und der vorindustriellen Zeit zur Verfügung hätte. Für eine allgemeine Aussage über das Städtewachstum wäre es gut, mehr Städte miteinander zu vergleichen.

Die Statistiken sagen nichts darüber aus, wodurch das starke Wachstum der Städte bzw. der Gesamtbevölkerung ausgelöst wurde. Zudem geben sie keine Auskunft über die Bevölkerungsentwicklung auf dem Land. Dass die Stadtbevölkerung so schnell und so stark zunahm, brachte viele Probleme mit sich (z. B. Wohnungsnot, schlechte hygienische Bedingungen). Um diese zu erklären, müsste man Statistiken oder schriftliche Quellen zur Wohnsituation und zur Versorgung der Menschen in den Städten hinzuziehen.