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Andere Bezeichnungen:  Verbum, Tätigkeitswort

 

Über das Wort „Verb“

Genus:  das Verb
Plural:  die Verben (aber der Plural von „Verbum“ ist: die Verba)
Abkürzung:  Vb.
Herkunft:  von lat. verbum Wort, Ausspruch (eine missglückte Übersetzung von griechisch „rhēma“, das außer Wort, Ausspruch auch Ausgesagtes bedeutet, in der Grammatik also: was über das Subjekt ausgesagt ist)

 

Definition

Definition 1:  „Verb“ ist eine der Wortarten. Unter Verb versteht man ein Wort, das konjugiert wird, d.h. seine Form durch Konjugation verändert.

Da in vielen Sprachen der Welt (z.B. Chinesisch, Thailändisch) die Wörter unveränderlich sind, also keine Konjugation existiert, benötigt man noch eine zweite Definition, die nicht von der Form, sondern von der Funktion der Wörter ausgeht; eine solche Definition ist auch sehr nützlich für die Analyse lateinischer Sätze:

Definition 2:  „Verb“ ist eine der Wortarten. Unter Verb versteht man ein Wort, das eine Eigenschaft angibt und dafür vorgesehen ist, im Satz die Funktion des Prädikats (= Satzaussage) zu erfüllen. Zu den Verben werden auch einige sogenannte Kopulaverben gerechnet (z.B. esse sein, fierī werden); diese verhalten sich im Satz verbähnlich, geben aber keine Eigenschaft an, sondern dienen dazu, Substantive, Adjektive und anderes zu Prädikaten zu machen.

 

Bedeutung

Die Bezeichnung „Tätigkeitswort“ für „Verb“ ist ungenau. Verben können nicht nur Tätigkeiten, sondern alle Arten von Sachverhalten bezeichnen. Z.B.:

• Tätigkeiten, z.B.:
÷ Nūntius currit. Der Bote läuft.
÷ Mīles pūgnat. Der Soldat kämpft.

• Ereignisse ohne genannten Verursacher, z.B.:
÷ Domus ārdet. Das Haus brennt.
÷ Pluit. Es regnet.

• Zustände, z.B.:
÷ Māter dormit. Die Mutter schläft.
÷ Flōs flōret. Die Blume blüht.
÷ Domus vacat. Das Haus steht leer.
÷ Patet porta. Die Tür steht offen.

• Eigenschaften im engeren Sinn, z.B.:
÷ Equī albent. Die Pferde sind weiß.
÷ Mōns ēminet. Der Berg ragt heraus = ist höher als seine Umgebung.

In der Grammatik zählen alle diese Verbbedeutungen als Eigenschaften im weitesten Sinn.

 

Formenbildung

Welche Formen welche Verben bilden, beschreiben wir unter dem Stichwort Konjugation und unter den Namen der einzelnen Konjugationstypen und unregelmäßigen Verben.

 

Die Nennform des Verbs

Ein lateinisches Verb bildet bis zu 177 einfache Konjugationsformen (die umschriebenen Formen, wie z.B. Perfekt Passiv, sind also nicht mitgerechnet!). Wenn man von einem bestimmten Verb nur als Wort reden will, ohne dass es auf eine bestimmte Verbform ankommt, nennt man das Verb in seiner Nennform. Im Wörterbuch dient die Nennform als Stichwort, unter dem man das Verb nachschlägt.

Im Deutschen und modernen Fremdsprachen wird der Infinitiv als Nennform gebraucht (z.B. „rufen“, „hören“). Im Altertum hingegen verwendeten die Griechen und Römer die 1.Person Singular Indikativ Präsens Aktiv als Nennform des Verbs (z.B. vocō ich rufe, audiō ich höre), da sie den Infinitiv (wie auch das Partizip) nicht als Verbform, sondern als eigenständige Wortart ansahen. Bis heute findest du in den meisten Latein- und Griechischwörterbüchern die Verben unter ihrer 1.Person Singular. Einige neuere Wörterbücher verwenden hingegen schon wie im Deutschen den Aktiv-Infinitiv des Präsensstamms (z.B. vocāre rufen, audīre hören). Im Lateinunterricht hat sich schon seit langer Zeit der Infinitiv als Nennform durchgesetzt.

Deponentien sind Verben, die keine Aktivformen bilden, deren Passivformen aber meist aktivische Bedeutung haben. Bei ihnen dienen als Nennform die entsprechenden Passiv-Formen, also die 1.Person Singular Indikativ Präsens Passiv (z.B. hortor ich ermahne, sequor ich folge) oder der Passiv-Infinitiv des Präsensstamms (z.B. hortārī ermahnen, sequī folgen).

Beachte: Als Übersetzung lateinischer Verben findest du im Wörterbuch immer deutsche Infinitive. Z.B. könnte in deinem Wörterbuch stehen:
÷ laudō loben.
Das bedeutet nicht, dass du die Wortform laudō mit loben übersetzen sollst! Vielmehr verwendet das Wörterbuch die 1.Person Singular laudō als Nennform des lateinischen Verbs und stellt diesem als Übersetzung die Nennform des deutschen Verbs, also den Infinitiv, gegenüber. In einem Text muss die Form laudō natürlich mit ich lobe übersetzt werden.

 

Syntaktische Eigenschaften

 

(1)  Kongruenz

Die lateinische Sprache betrachtet – wie die deutsche – das Verb als Eigenschaft des Subjekts. Daher muss das Verb mit dem Subjekt kongruent sein, d.h. die finiten Verbformen drücken in ihrer Personalendung Person und Numerus des Subjekts aus, z.B.:
÷ Puer-ī canta-nt. Die Kind-er sing-en.
Ein Substantiv steht für eine 3. Person, die Endung (deutsch: -er) für Plural; daher hat das Verb die Endung der 3. Person Plural -nt (deutsch: -en).
÷ Vōs cantā-tis. Ihr sing-t.
Das Personalpronomen vōs ihr steht ebenso wie die Verbendung -tis (deutsch: -t) für die 2. Person Plural.

Als Eigenschaft des Subjekts steht das (finite) Verb außerdem immer im Kasus Nominativ, auch wenn dieser in den meisten Verbformen nicht sichtbar ausgedrückt wird. Man sieht ihn nur in den mit Partizip umschriebenen Verbformen, z.B. im Perfekt Passiv:
÷ Cant-us cantāt-us est. Ein Lied wurde gesungen.
Die zweiteilige Verbform cantāt-us est wurde gesungen enthält in dem Partizip cantāt-us das Nominativ-Kennzeichen -us.

 

(2)  Subjekt im Verb

Das lateinische Verb hat gegenüber dem deutschen eine Besonderheit: Das Subjekt des Satzes kann in vielen Fällen im Verb mit enthalten sein. Wie kommt es dazu?

Ein Subjekt-Personalpronomen der 1. und 2. Person drückt nicht mehr als bloß die Person, den Numerus und den Kasus Nominativ aus. Wegen der Kongruenz zwischen Subjekt und Verb ist die gesamte Bedeutung des Personalpronomens auch in der Personalendung des Verbs enthalten. Daher verzichtet das Lateinische gewöhnlich auf Subjekt-Personalpronomen, sagt also statt vōs cantā-tis nur cantā-tis ihr singt. Auch in der 3. Person heißt es statt iī canta-nt meist nur canta-nt sie singen, obwohl das Pronomen  diese, sie auch das Genus Maskulin ausdrückt, das der Verbform fehlt (wenn sie nicht umschrieben ist, siehe oben).

Im Deutschen kann man das Subjekt-Personalpronomen dagegen nicht weglassen, da die meisten Verbendungen nicht eindeutig sind: „sing-t“ könnte „ihr sing-t“ oder „er/sie/es sing-t“ bedeuten; „sing-en“ könnte „sie sing-en“ oder „wir sing-en“ bedeuten und außerdem Infinitiv sein. Nur der deutsche Imperativ kann wie der lateinische sein Subjekt mit enthalten, z.B.:
÷ Venī! Komm! = Du sollst kommen!
Bei allen anderen lateinischen (finiten) Verbformen musst du, wenn kein Subjektwort vorhanden ist, in der Übersetzung ein deutsches Subjektpronomen hinzufügen. In der 3. Person Singular muss das deutsche Personalpronomen das Genus unterscheiden: er/sie/es. Das lateinische Verb der 3. Person übernimmt normalerweise das Subjekt des vorausgegangenen Satzes. Daher muss sich in der deutschen Übersetzung das Personalpronomen ebenfalls nach dem Subjekt des vorausgegangenen Satzes richten, z.B.:
÷ Fīlia lūdit. Posteā dormit. Die Tochter spielt. Danach schläft sie.

Wo das Lateinische doch ein Subjekt-Personalpronomen setzt, ist eine besondere Hervorhebung der Person beabsichtigt, um auf einen Gegensatz hinzuweisen, z.B.:
÷ Nōs labōrāmus, vōs autem lūditis. Wir arbeiten, ihr aber spielt.

 

(3)  Valenz

Unter „Valenz“ (= Wertigkeit) des Verbs versteht man die Anzahl und Art der Satzglieder, die ein Verb als Ergänzungen (= Komplemente) benötigt, um einen grammatisch vollständigen Satz zu bilden. Die Valenz hängt auch von der Diathese (= Aktiv oder Passiv) ab, in der das Verb im Satz auftritt.

• nullwertige Verben benötigen keine Ergänzung, z.B.:
    ÷ Pluit. Es regnet.

• einwertige Verben benötigen nur ein Subjekt, z.B.:
    ÷ Domus ārdet. Das Haus brennt.

• zweiwertige Verben benötigen zwei Ergänzungen, z.B.:
— Subjekt und Akkusativobjekt, z.B.: 
    ÷ Puer portam aperit. Der Junge öffnet die Tür.
— Subjekt und Genitivobjekt, z.B.: 
    ÷ Avus meminit adulēscentiae. Der Großvater erinnert sich (seiner Jugend =) an seine Jugend.
— Subjekt und Dativobjekt, z.B.: 
    ÷ Liber mihī placet. Das Buch gefällt mir.
— Subjekt und Ablativobjekt, z.B.: 
    ÷ Sapiēns vītā fruitur. Der Weise genießt das Leben.
— Subjekt und Präpositionalobjekt, z.B.: 
    ÷ Mīlitēs dubitant dē victōriā. Die Soldaten zweifeln am Sieg.
— Akkusativobjekt und Genitivobjekt (ohne Subjekt!), z.B.: 
    ÷ Mē piget stultitiae meae. Mich ärgert meine Dummheit (im Lat. Genitiv!).
— Subjekt und zugewiesene Eigenschaft (= „Prädikatsnomen“) im Nominativ, z.B.:
    ÷ Sōcratēs sapiēns appellātur. Sokrates wird ein Weiser genannt.
       (Appellātur ist zweiwertiges Passiv, das Aktiv dieses Verbs ist dreiwertig, siehe unten.)

• dreiwertige Verben benötigen drei Ergänzungen, z.B.:
— Subjekt, Dativobjekt und Akkusativobjekt, z.B.:
    ÷ Māter puerō canem dōnat. Die Mutter schenkt dem Jungen einen Hund.
— Subjekt und zwei Akkusativobjekte, z.B.:
    ÷ Magister discipulōs litterās docet. Der Lehrer lehrt die Schüler das Alphabet.
— Subjekt, Akkusativobjekt und zugewiesene Eigenschaft (= „Prädikatsnomen“) im Akkusativ, z.B.:
    ÷ Multī Sōcratem sapientem appellant. Viele nennen Sokrates einen Weisen.

Transitive Verben heißen in der traditionellen lateinischen Grammatik diejenigen Verben, die gewöhnlich ein Akkusativ-Objekt besitzen.
Intransitive Verben heißen die Verben, die gewöhnlich kein Akkusativ-Objekt besitzen.
In Grammatiken moderner Sprachen sind transitive Verben solche, die gewöhnlich ein Objekt (gleich welcher Art) besitzen, intransitive Verben solche, die gewöhnlich kein Objekt besitzen.

 

(4)  Die drei Verbformtypen und ihr Satzwert

Im Lateinischen wie im Deutschen bildet ein Verb drei Typen von Konjugationsformen (Verbformtypen):
1. finite Verbformen (= Personalformen); z.B.: laudat (er/sie/es) lobt, audāvistī (du) lobtest.
2. Partizipien (= Verbaladjektive); z.B.: laudāns lobend, laudātus gelobt.
3. Infinitive (= Verbalsubstantive); z.B. laudāre loben, laudārī gelobt werden.
Partizipien und Infinitive werden unter der Bezeichnung „Verbalnomen“ oder „infinite Verbformen“ zusammengefasst.

Die drei Verbformtypen unterscheiden sich voneinander in zwei Punkten:

1. Sie unterscheiden sich in ihrer Formenbildung, d.h. in den grammatischen Kategorien, die sie durch ihre Endungen ausdrücken können. Genaueres dazu findest du unter Konjugation.

2. Sie unterscheiden sich in ihren Verwendungsmöglichkeiten im Satz; das nennen wir „syntaktischen Wert“ oder kurz „Satzwert“.
• Finite Verbformen können Hauptsätze und Nebensätze bilden.
• Partizipien und Infinitive können (im Normalfall) nur Nebensätze bilden. Die Sprache hat sie als Nebensatzkennzeichen erfunden.
• Partizipien übernehmen adjektivähnliche Funktionen im übergeordneten Satz, sie können unter anderem Attributsätze bilden.
• Infinitive übernehmen substantivähnliche Funktionen im übergeordneten Satz und können unter anderem (im Gegensatz zu finiten Verbformen und Partizipien) subjektlose Nebensätze bilden.
Genaueres zu den Satzkonstruktionen der Partizipien und Infinitive mit Beispielen findest du unter Infinitivsatz und Partizipialsatz.


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