Wie sehr bestimmt die Schulwahl die Zukunft meines Kindes? Diese Frage stellen sich im Moment viele Eltern. Immerhin stehen die Empfehlungen für die weiterführende Schule an. Unsere Checkliste berücksichtigt die wichtigsten Kriterien für die Wahl der richtigen Schule. Pädagogin Uta Reimann-Höhn spricht im Learnattack-Interview über elterliche Zukunftssorgen und die Durchlässigkeit des Schulsystems.
Klagen gegen Schulen, Beschwerden bei der Landesschulbehörde, für die Wunschschule legen sich Eltern heute ganz schön ins Zeug. Ist die dahinterstehende Sorge, mein Kind könnte durch eine falsche Schulwahl schlechtere Zukunftschancen haben, aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?
Uta Reimann-Höhn: Es gibt viele Familien mit nur einem oder höchstens zwei Kindern. Die Erwartungen an ihren schulischen und beruflichen Erfolg sind daher entsprechend hoch. Genau das erklärt auch die große Sorge mancher Eltern um die Zukunft ihrer Kinder. Eng mit der beruflichen Zukunft ist nun mal die Schullaufbahn verknüpft und noch mal in besonderem Maße die weiterführende Schule. Also ja, diese Sorgen kann ich durchaus nachvollziehen.
Aber ist es für Zukunftsängste in der vierten Klasse nicht noch zu früh?
Uta Reimann-Höhn: Könnte man meinen. Immerhin ist die Schulwahl nach der Grundschule alles andere als endgültig, auch wenn die allermeisten Schüler auf der nach der Grundschule gewählten Schulform ihren Abschluss machen. Aus gutem Grund. So beginnen viele Jugendliche nach dem Realschulabschluss erst einmal eine Ausbildung, auch weil es der normale Weg ist. Sich im Anschluss für den Gang auf das Gymnasium zu entscheiden und vielleicht die Freunde und Freundinnen nicht mehr jeden Tag zu sehen, fällt ihnen deutlich schwerer. Das muss überhaupt nicht schlecht sein, eine Ausbildung kann gute Perspektiven bieten. Das Fachabitur, Abitur oder ein Studium lassen sich später noch nachholen. Gleichzeitig gibt es einfach Eltern, die sich den direkten Weg mit gutem Abitur und darauffolgendem Studium für ihr Kind wünschen. In diesem Fall kann ich die elterlichen Sorgen durchaus verstehen. Das Gymnasium bietet einfach die höchste, schnellste Chance auf eine Hochschulreife. Ob die gewählte Schulform auch die richtige für das Kind ist, sei mal dahingestellt.
Von der Grundschule bekommen die Eltern eine Schulempfehlung für ihr Kind. Wie wichtig ist diese für die Schulwahl?
Uta Reimann-Höhn: In den allermeisten Bundesländern entscheiden die Eltern selbst, auf welche Schule ihr Kind gehen soll. Die Schulen und Lehrkräfte geben nur eine „unverbindliche“ Empfehlung ab und unterstützen die Eltern im besten Fall bei der weiteren Entscheidung. Die Empfehlung, ob verbindlich oder unverbindlich, richtet sich in erster Linie nach den Noten in den Hauptfächern. Aber auch das Arbeits- und Sozialverhalten sollte eine wichtige Rolle spielen. Gerade an einem Gymnasium werden hohe Ansprüche an die Disziplin beim Lernen, strukturiertes Arbeiten und auch an die Motivation der Kinder gestellt.
Sollten sich Eltern aus Ihrer Sicht an die Empfehlung halten?
Uta Reimann-Höhn: Das ist eine Frage, die sich nicht pauschal beantworten lässt. Die Schulempfehlung wird sicher nicht grundlos getroffen und ist in der Regel auch eine sinnvolle Orientierung für die Eltern. Gleichzeitig sollten sie auch auf ihre eigene Erfahrung mit dem Kind vertrauen. Besonders wenn es um den Übertritt auf ein Gymnasium geht. Lernt es gerne? Macht es seine Hausaufgaben? Arbeitet es diszipliniert? Diese Einschätzungen sollten die Eltern selbst treffen und sich ehrlich fragen, ob das Kind die richtigen Voraussetzungen mitbringt. Es gibt natürlich Fälle, in denen die Eltern zu Recht das Gefühl haben, ihr Kind wird von den Lehrkräften falsch eingeschätzt. Damit sinkt die Aussagekraft der Schulempfehlung.
Ist es in Ordnung, sein Kind trotz einer anderen Empfehlung auf das Gymnasium zu schicken? Und kann die falsche Schulwahl wirklich die Zukunft des Kindes zerstören?
Uta Reimann-Höhn: Falsche Entscheidungen gehören zum Trial-and-Error des Elternseins dazu. In den meisten Fällen sind die Fehler aber nicht weiter schlimm. Natürlich ist es für alle Beteiligten unangenehm, wenn ein Kind auf dem Gymnasium überfordert ist. Im schlimmsten Fall könnte die Schule den Schüler wegen schlechter Noten nach der 6. Klasse auf eine Realschule schicken und ihn damit aus seiner vertrauten Umgebung holen. Ich würde Eltern deshalb raten, offen mit ihrem Kind über die Anforderungen und Erwartungshaltung auf einem Gymnasium zu sprechen. Wenn Eltern und Kind gemeinsam den Sprung auf das Gymnasium wagen wollen, sollte allen bewusst sein, dass dieses „Experiment“ scheitern könnte. Das Scheitern ist aber kein Weltuntergang. Das Leben geht auch auf einer Real- oder Gesamtschule weiter. Eine solche Haltung nimmt dem Kind den Druck. Kritisch wird es erst, wenn die Eltern das vermeintliche Scheitern als totales Versagen auffassen. Dann kratzt es am kindlichen Selbstwertgefühl und kann unter Umständen sogar eine traumatische Erfahrung sein.
Über Uta Reimann-Höhn

Diplompädagogin Uta Reimann-Höhn beschäftigt sich praktisch und wissenschaftlich mit den Themen Kinder, Erziehung und Schule. Sie arbeitet als Lerntherapeutin und ist Autorin zahlreicher Sachbücher und Unterrichtsmaterialien. Uta Reimann-Höhn lebt mit ihrem Mann in Wiesbaden und hat 1997 das pädagogische Portal www.lernfoerderung.de gegründet.
Könnte man also sagen, die Schulentscheidung nach der vierten Klasse ist keineswegs endgültig? Immerhin führen offensichtlich viele Wege zum Abitur.
Uta Reimann-Höhn: Das ist eine Frage der Perspektive. Viele Eltern wünschen sich einen gradlinigen Weg zum Abitur. Dieser Wunsch bedeutet aber nicht, dass ein Gymnasium wirklich die richtige Schulwahl für ihr Kind ist. Oft werden von Eltern Alternativen gar nicht gesehen oder in Betracht gezogen. Gerade Gesamtschulen erleben durch das Aussterben der Hauptschule großen Zulauf. Sie bieten nicht nur die Möglichkeit, alle drei Schulabschlüsse abzulegen, sondern oft auch ein großes Kursangebot, arbeiten stärker in Projekten und im offenen Unterricht. Und sie legen großen Wert auf soziale Kompetenzen. Manche Schüler profitieren von genau dieser Kombination. Das Wohlfühlen bedeutet aber nicht per se, dass sie an einer Gesamtschule auch immer den höchstmöglichen Abschluss, also das Abitur, schaffen. Aber es gibt attraktive Alternativen. Viele Ausbildungsberufe bieten eine tolle Perspektive, und das Abitur und Studium lassen sich wie schon gesagt später noch nachholen. Das ist eine beruhigende Gewissheit für viele Eltern.
Wird das Abitur und ein Studium als Perspektive überwertet?
Uta Reimann-Höhn: Das würde ich nicht so sehen. Viele Ausbildungsberufe, gerade im Handwerk oder der Industrie, bieten sicher sehr gute Berufsaussichten und Verdienstmöglichkeiten. Gleichzeitig ist ein Studium eine wichtige Qualifikation und bietet oft eine viel gezieltere Perspektive auf dem Arbeitsmarkt als ein Ausbildungsberuf. Das liegt neben Fachinhalten auch an den Schlüsselkompetenzen wie dem wissenschaftlichen Arbeiten oder der Auseinandersetzung mit immer neuen Inhalten. Andererseits kann natürlich nicht jeder studieren. Wenn ich mich für einen Weg entscheiden müsste, würde ich vielleicht die Kombination, erst Ausbildung, dann Studium, wählen.
Über Duden Learnattack
Duden Learnattack ist der smarte Lernbegleiter mit Lernvideos, Übungen und Klassenarbeiten. Mit unseren Lerninhalten zum Grundschulwissen in Mathe und Deutsch möchten wir Schulkinder beim Übergang auf die weiterführende Schule unterstützen. Wichtig für den Start an der neuen Schule ist auch der Beistand der Eltern. In unserem Elternratgeber „Lernen leicht gemacht“ geben wir wissenschaftlich fundierte Tipps, wie Eltern ihre Kinder beim Lernen unterstützen können.