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Andere Bezeichnungen:  Verbalsubstantiv, Nennform, Grundform

 

Über das Wort „Infinitiv“

Genus, Betonung:  der Infinitiv

Plural:  die Infinitive

Abkürzung:  Inf.

Herkunft:  von lat. (modus) īnfīnītīvus Aussageweise der Unbestimmtheit, Infinitiv  (īnfīnītus unbestimmt ist die verneinte Form von fīnītus bestimmt; dies ist vorzeitiges Passivpartizip (= PPP) von fīnīre begrenzen, bestimmen; mit īnfīnītus unbestimmt ist gemeint, dass die Form hinsichtlich der grammatischen Person, des Modus und des absoluten Tempus unbestimmt ist).

Beachte:  Eine andere Bezeichnung für „Infinitiv“ ist „Verbalsubstantiv“. Die Bezeichnung bezieht sich darauf, dass sich der Infinitiv syntaktisch teils wie ein (finites) Verb, teils wie ein Substantiv verhält (siehe Definition). Das Wort „Verbalsubstantiv“ darf nicht mit „Deverbalsubstantiv“ verwechselt werden. „Deverbalsubstantiv“ (< dē verbō vom Verb) bezieht sich auf die Wortbildung: Es bezeichnet ein vom Verb abgeleitetes Substantiv; siehe Deverbativ.

 

Definition

„Infinitiv“ ist ein Formtyp des Verbs. Unter „Infinitiv“ versteht man eine Wortform mit folgenden Eigenschaften:
• Ein Infinitiv bezeichnet einen Sachverhalt (= Tätigkeit, Vorgang, Zustand, Beschaffenheit);
• er ist fähig, Funktionen eines Substantivs im übergeordneten Satz zu erfüllen (Formel: „nach oben wie ein Substantiv“);
• von einem Infinitiv können die Ergänzungen (= Komplemente) und Angaben (= Supplemente) abhängen, die für Verben typisch sind (Formel: „nach unten wie ein Verb“);
• ein Infinitiv hat immer die Funktion eines Nebensatzprädikats (Ausnahme: „historischer“ Infinitiv).

 

Formenbestand

Im Deutschen verfügen wir über nur einen einfachen Infinitiv:
•  gleichzeitig Aktiv:  hören
Dieser findet sich als Übersetzung in die Tabelle der lateinischen Infinitive unten. Mit Umschreibungen kann das Deutsche alle zehn lateinischen Infinitive in der Tabelle wiedergeben und könnte auch noch zusätzliche Infinitive bilden.

Im Lateinischen gibt es zahlreiche Infinitive, von denen die zehn wichtigsten in der Tabelle erfasst sind. Vier von diesen sind per Umschreibung gebildet; weitere umschriebenen Infinitive lassen sich bilden, wenn man in den mit esse umschriebenen Formen (z.B. audiendus esse) die Form esse gegen fuisse oder fore (= futūrus esse) austauscht.

Abkürzungen in der Tabelle:
ACI = Accūsātīvus cum īnfīnītīvō
NCI = Nōminātīvus cum īnfīnītīvō
PFA = „Partizip Futur Aktiv“
PPP = „Partizip Perfekt Passiv“

Farben in der Tabelle:
BRAUN
= Verbalstamm:
     zeigt die Verbbedeutung an.
LILA = Unterstamm-Kennzeichen:
     zeigt den vom Verbalstamm abgeleiteten Unterstamm (Präsensstamm, Perfektstamm, Supinstamm) an.
DUNKELBLAU = Formtyp-Modus-Tempus-Kennzeichen:
     zeigt Formtyp, Modus und Tempus an, beim Partizip aber statt Modus die Diathese.
ROT = Deklinationsendung:
     zeigt Kasus, Numerus und Genus an.

Betrachte auch die Beispielanalysen von Verbformen unter Konjugation!
 

 

Erläuterungen zur Tabelle:  Siehe die folgenden Abschnitte.

 

Bildung

Der gleichzeitige Aktiv- und Passiv-Infinitiv (audīre, audīrī), das Gerundium (audiendī) und der mit dem Gerundivum umschriebene Notwendigkeitsinfinitiv (audiendus esse) sind vom Präsensstamm (audī-) gebildet nach der jeweiligen Präsensstammkonjugation.

Der vorzeitige Aktiv-Infinitiv (audīvisse) ist vom Perfektstamm (audīv-) nach der Perfektstammkonjugation gebildet.

Das vorzeitige Passivpartizip (= PPP) und das nachzeitige Aktivpartizip (= PFA) sind vom Supinstamm (audīt-) gebildet und verbinden sich mit esse zur Bildung der entsprechenden Infinitive (audītus esse, audītūrus esse); ebenfalls vom Supinstamm gebildet sind natürlich die beiden Supina (audītum, audītū) und der mit dem um-Supinum umschriebene nachzeitige Passivinfinitiv (audītum īrī). Der Supinstamm folgt der für alle Verben gleichen Supinstammkonjugation.

 

Deklination

In der Tabelle sind die deklinierbaren Formen an ihrer roten Deklinationsendung erkennbar.

Das Lateinische hat einen deklinierbaren Infinitiv, das Gerundium. Dieses und die in den Infinitivumschreibungen enthaltenen Partizipien werden dekliniert wie Adjektive der ō/ā-Deklination (das Gerundium bildet davon aber nur die Formen des Singular Neutrum, ohne Nominativ und Vokativ).

Die beiden Supina waren ursprünglich Deklinationsformen eines vom Verb abgeleiteten maskulinen Substantivs der ū-Deklination (Akkusativ: audītum das Hören, beim Supinum nur als Richtungsakkusativ gebraucht: zum Hören; Ablativ: audītū beim Hören). Daher könnte man von einem deklinierbaren Infinitiv namens „Supinum“ sprechen. Allerdings haben die Kasus sehr spezialisierte Bedeutungen und sind verschiedenen Diathesen zugeordnet (Akkusativ: Aktiv, Ablativ: Passiv). Deshalb rechnen wir sie als zwei eigenständige, unveränderliche Infinitive.

 

Tempus und Diathese

Die Infinitive drücken Tempus und Diathese aus und bilden damit ein System, das dem der Partizipien zum großen Teil entspricht. Während die Diathesen (Aktiv und Passiv) genauso funktionieren wie bei den finiten Verbformen, sind die Tempora der Infinitive (und Partizipien) anders zu verstehen. Traditionell spricht man von „Infinitiv Präsens (Aktiv/Passiv)“, „Infinitiv Perfekt (Aktiv/Passiv)“ und „Infinitiv Futur (Aktiv/Passiv)“, doch haben diese Tempusbezeichnungen eine andere Bedeutung als bei den finiten Verbformen:

• Bei den finiten Verbformen bedeuten die Bezeichnungen „Präsens“, „Perfekt“ und „Futur“ absolute Zeitstufen, d.h. sie unterscheiden, ob der Inhalt des Satzes aus Sicht der Person, die den Satz äußert (Sprecher), in der Gegenwart, der Vergangenheit oder der Zukunft liegt.

• Die infiniten Verbformen (Partizipien und Infinitive) hingegen drücken relative Zeitstufen aus, daher bedeutet:
„Präsens“ = gleichzeitig:  Der Inhalt des Infinitivsatzes liegt in der gleichen Zeit wie der des übergeordneten Satzes; dies kann Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft sein. Ein Infinitiv „Präsens“ wird also keineswegs immer mit Präsens übersetzt.
„Perfekt“ = vorzeitig:  Der Inhalt des Infinitivsatzes liegt zeitlich vor dem des übergeordneten Satzes.
„Futur“ = nachzeitig:  Der Inhalt des Infinitivsatzes liegt zeitlich nach dem des übergeordneten Satzes.

Beispiele mit Regeln für die Übersetzung findest du unter den Infinitivkonstruktionen ACI und NCI.

 

Verwendungsmöglichkeiten

 

(1)  Nebensatzprädikat

Alle Infinitive können als Nebensatzverbformen verwendet werden. Im Lateinischen finden sich vier Nebensatztypen, die mit Infinitiven gebildet sind. Sie werden Infinitivsätze oder Infinitivkonstruktionen genannt. Genaueres erfährst du unter den Namen der einzelnen Konstruktionen:
Infinitiv ohne Subjekt;
Infinitiv mit übernommenem Subjekt;
Accūsātīvus cum īnfīnītīvō (ACI);
Nōminātīvus cum īnfīnītīvō (NCI).
 

(2)  Hauptsatzprädikat

Die gleichzeitigen NCI/ACI-fähigen Infinitive können ausnahmsweise auch als Hauptsatzverben verwendet werden, und zwar im Falle des sogenannten historischen Infinitivs.
 

(3)  Umschreibung anderer Infinitive

Infinitive können dazu verwendet werden, andere Infinitive zu umschreiben. Dabei verbinden sich:
• entweder zwei Infinitive: Der nachzeitige Passiv-Infinitiv (= Infinitiv Futur Passiv) besteht aus dem um-Supinum des Verbs + Passivinfinitiv von īre gehen, z.B.:
   ÷ audītum īrī (wörtlich: zum Hören gegangen werden >) künftig gehört werden; siehe Tabelle.
• oder ein Partizip mit einem Infinitiv von esse. Diese Bildungen findest du zum größten Teil in der Tabelle oben. Es kommt hinzu der irreale Infinitiv, z.B.: audītūrus fuisse. Genaueres findest du unter umschreibende Konjugation.
 

(4)  Substantivierung nicht möglich

Ein Infinitiv ist als Verbalsubstantiv ein Mittelding zwischen Verb und Substantiv. Die Tatsache, dass ein Infinitiv Funktionen eines Substantivs im Satz übernimmt, ist daher normal und kein Beweis dafür, dass der Infinitiv substantiviert wäre. Eine Substantivierung läge vor, wenn zum Infinitiv keine verbtypischen Erweiterungen (z.B. Akkusativobjekt, Adverb) mehr treten könnten und stattdessen substantivtypische Erweiterungen hinzuträten (z.B. Adjektiv, Genitivattribut). Das ist im Lateinischen nicht möglich.

Insbesondere vom Gerundium wird gerne behauptet, dass es sich um einen substantivierten Infinitiv handele. Dieser Irrtum entsteht daraus, dass das Gerundium oft mit deutschem substantiviertem Infinitiv übersetzt wird, z.B.:
÷ (cōnsuētūdō) audiendī (die Gewohnheit) des Hörens.
Die hier gegebene deutsche Übersetzung kann durch ein Adjektiv und ein Genitivattribut ergänzt werden, z.B.:
÷ „(die Gewohnheit) des ständigen Hörens der Musik“.
Im Lateinischen ist eine entsprechende Formulierung unmöglich; stattdessen würden in verbtypischer Weise Akkusativobjekt und Adverb verwendet:
÷ (cōnsuētūdō) mūsicam assiduē audiendī
(oder gewöhnlicher mit Gerundiv als AUC: (cōnsuētūdō) mūsicae assiduē audiendae).


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