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Über das Wort „Hexameter“

Genus, Betonung:  der Hexameter
Plural:  die Hexameter (wie Singular)
Abkürzung:  Hex., Hexam.
Herkunft:  von lat. (versus) hexameter, dies von griechisch (stíchos) hexámetros Vers aus sechs Metren (aus versus = stíchos Vers + hexa- sechs + métron Maß, Metrum = Versmaß)

 

Definition

• Der „Hexameter“ im weiteren Sinn ist ein Versschema, das aus sechs Metren besteht.

• Der „Hexameter“ im engeren Sinn, auch „daktylischer Hexameter“ genannt, 
ist ein Versschema, das aus sechs Daktylen (  ′   ‿ ‿) besteht.

 

Regeln für die Bildung des Hexameters

(1)  Gebrauch des Spondeus

Der letzte Daktylus des Hexameters muss die Form eines Spondeus (  ′        ) haben, während der vorletzte Daktylus nur im Notfall eine Spondeus sein darf.
Daraus ergibt sich für den Hexameter das Schema:  
  ′   ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′        .

(2)  Gebrauch von Zäsuren

Alle Hexameterverse müssen mindestens eine Zäsur aufweisen. Die häufigste Zäsur im Hexameter ist die Penthemimeres. Wenn sie im selben Vers zusammen mit ein oder zwei anderen Zäsuren auftritt, sind die Zäsuren nicht gleichwertig: Entweder ist die Penthemimeres dominant oder die Kombination Trithemimeres + Hephthemimeres. Die Trithemimeres muss immer mit einer anderen Zäsur kombiniert werden; auch die Hephthemimeres tritt selten allein auf.

Mit Zäsuren sieht das Hexameter-Schema so aus:
  ′   ‿ ‿,   ′   |3 ‿ ‿,   ′   |5 ‿ ‿,   ′   |7 ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′        .

Die Zäsuren sind mit folgenden Zeichen angezeigt:
|3  =  Trithemimeres
|5  =  Penthemimeres
|7  =  Hephthemimeres

 

Beispiele

Um lateinische Verse zu analysieren, ist es nötig, lange und kurze Silben unterscheiden zu können. Informiere dich hierüber unter Silbe

Für alle Beispiele geben wir eine freie Übersetzung (Wolfgang Töpler) in deutschen Hexametern. Wir beginnen mit einem Beispiel mit fünf reinen Daktylen (  ′   ‿ ‿):

÷ Séd fugit íntereā́,|5 fugit írreparā́bile témpus.
     ′   ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′   |5‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Derweil verrinnt uns die Zeit, sie verrinnt und bleibt ewig verronnen.
   (Vergil: Georgica 3:284)

÷ Tántae mṓlis erát |5 Rōmā́nam cóndere géntem!
     ′        ,   ′   ‿ ‿,   ′   |5      ,   ′        ,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Solch eine Mühsal war’s, das römische Volk zu begründen!
   (Vergil: Aeneis 1:33)

÷ Fḗlīx, quī́ |3 potuít |5 rērúm |7 cognṓscere cáusās!

     ′        ,   ′   |3‿ ‿,   ′   |5     ,   ′   |7     ,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Glücklich, wem es gelang, der Dinge Grund zu begreifen!
   (Vergil: Georgica 2:475)

÷ Ómnia víncit amór:|5 et nṓs |7 cēdā́mus amṓrī!  (Silbengrenze in Zäsur!)
     ′   ‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′   |5     ,   ′   |7     ,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Liebe besiegt ja alles: So wollen auch wir uns ihr beugen!
   (Vergil: Eclogae 10:69)

÷ iámque facḗs |3 et sáxa volánt: |7 furor árma minístrat.
     ′   ‿ ‿,   ′   |3     ,   ′   ‿ ‿,   ′   |7‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Bald schon fliegen Fackeln und Steine: Die Wut schafft sich Waffen.
   (Vergil: Aeneis 1:150)

÷ Cóllēctā́sque fugát |5 nūbḗs |7 sōlémque redū́cit.
     ′        ,   ′   ‿ ‿,   ′   |5     ,   ′   |7     ,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Sammelt die Wolken und scheucht sie davon, lässt die Sonne erstrahlen.
   (Vergil: Aeneis 1:143)

÷ Quícquid id ést,|3 timeṓ |5 Danaṓs |7 et dṓna feréntīs!
     ′   ‿ ‿,   ′   |3‿ ‿,   ′   |5‿ ‿,   ′   |7     ,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Was es auch sei, ich fürchte die Danaer, selbst wenn sie schenken!
   (Vergil: Aeneis 2:49; Übersetzung: W.Plankl)

÷ Ī́nfandúm,|3 rēgī́na, iubḗs |7 renovā́re dolṓrem!
     ′        ,   ′   |3     ,   ′   ‿ ‿,   ′   |7‿ ‿,   ′   ‿ ‿,   ′        .
   Unaussprechlichen Schmerz lässt du, Fürstin, erneut mich durchleben!
   (Vergil: Aeneis 2:3)

 

Deutsche Hexameter

Nach griechischem und lateinischem Vorbild haben deutsche Dichter versucht, den Hexameter im Deutschen nachzuahmen. Dabei haben sie meist für die kurzen Silben beliebige unbetonte deutsche Silben gesetzt, und ebenso für die lange Silbe, die zwei kurze vertritt, eine einzelne unbetonte Silbe. Es kommt dabei ein Versschema heraus, das sechs betonte Silben, zwischen ihnen immer wahlweise eine oder zwei unbetonte Silben und am Schluss noch eine unbetonte Silbe aufweist:
   ✕́ ✕ (✕), ✕́ ✕ (✕), ✕́ ✕ (✕), ✕́ ✕ (✕), ✕́ ✕ ✕, ✕́ ✕.
Da dieses Schema also keinen einheitlichen Rhythmus hat, ist der deutsche Hexameter schwer zu lesen. Im Unterschied zu griechischen und lateinischen Hexametern entstehen oft Zweifel, welche Silben nach Absicht des Dichters eigentlich betont werden sollen. Gute deutsche Hexameter sollten so gebaut sein, dass solche Zweifel nicht möglich sind. Doch auch dann bleibt die Uneinheitlichkeit des Rhythmus oft störend, sodass die Verse als unschön und ermüdend empfunden werden.

Auch den größten deutschen Dichtern ist es nicht gelungen, wirklich befriedigende Hexameter zu schaffen. Als Beispiel zitieren wir einige Zeilen aus Goethes Epos „Reineke Fuchs“ (Erster Gesang, ab Zeile 19):

[19]  Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage; von allen
[20]  seinen Vettern und Gönnern, von allen Freunden begleitet,
[21]  trat er vor den König und sprach die gerichtlichen Worte:
[22]  Gnädigster König und Herr! Vernehmet meine Beschwerden.
[23]  Edel seid Ihr und groß und ehrenvoll, jedem erzeigt Ihr
[24]  Recht und Gnade: so lasst Euch denn auch des Schadens erbarmen,
[25]  den ich von Reineke Fuchs mit großer Schande gelitten.

Zweifel über den Versakzent können beim ersten Lesen aufkommen in Zeile 23, wo entweder „seid“ oder „Ihr“ betont werden muss, und in Zeile 24, wo entweder „denn“ oder „auch“ zu betonen ist.