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Über die Bezeichnung „Accusativus cum infinitivo“

Genus, Betonung:  der Accusativus cum infinitivo
Plural:  die Accusativi cum infinitivis
Abkürzung:  ACI
Herkunft:  lat. accūsātīvus cum īnfīnītīvō Akkusativ mit Infinitiv

 

Definition

Der „Accusativus cum infinitivo“ (= ACI) ist ein Nebensatz, dessen Verb ein Infinitiv ist und dessen Subjekt ein Substantiv oder Pronomen im Akkusativ ist, wobei das Subjekt des ACI keine Funktion im übergeordneten Satz hat.

Beachte:
Obwohl der ACI ein Nebensatz ist, wird er weder durch eine Subjunktion noch durch ein Relativpronomen oder Ähnliches eingeleitet.
• Der Infinitiv muss, wenn er einen deklinierbaren Bestandteil enthält, wie jedes Verb mit seinem Subjekt kongruent sein.
Bei allen Infinitiven, die aus einem Partizip + esse zusammengesetzt sind, muss das Partizip also im Akkusativ stehen.
In normalen Texten wird der ACI wie alle Infinitivsätze nicht durch Satzzeichen vom übergeordneten Satz abgegrenzt, weder durch Klammern noch durch Kommas oder andere Zeichen. Die Grenzen musst du selber finden. Meistens steht der Infinitiv nach seinem Subjekt und der ACI reicht von diesem Subjekt bis zum Infinitiv.

 

Funktionen des ACI im übergeordneten Satz

(1)  Die ursprüngliche Funktion des ACI im übergeordneten Satz ist die eines Akkusativobjekts, genauer: eines Akkusativobjekt-Satzes. Das ist auch der Grund dafür, dass sein Subjekt im Akkusativ steht. Im Deutschen werden Objektsätze meist als dass-Sätze formuliert. Z.B.:
÷ Incolae putant [exercitum venīre].
   Die Einwohner glauben, [DASS das Heer kommt].
Hier antwortet der ACI auf die Akkusativ-Frage: „Wen oder was glauben die Einwohner?“

(2)  Im Laufe der Zeit wurde der Akkusativ immer mehr als neutraler Kasus des Subjekts eines Infinitivs empfunden. Daher gebrauchte man den ACI auch in Nominativfunktion, also als Subjektsatz. Im Deutschen werden auch Subjektsätze meist als dass-Sätze formuliert. Z.B.:
÷ Cōnstat [exercitum venīre].
   Es steht fest, [DASS das Heer kommt].
Hier antwortet der ACI auf die Nominativ-Frage: „Wer oder was steht fest?“. Das Subjekt des ACI steht trotzdem auch hier im Akkusativ.

 

Deutscher ACI als Übersetzung des lateinischen ACI

Wenn der ACI als Akkusativobjekt eines Verbs der Sinneswahrnehmung („sehen“, „hören“ und Ähnliches) gebraucht ist, kann er im Deutschen auch wörtlich mit ACI übersetzt werden; z.B.:
÷ Incolae vident [exercitum venīre].
   — mit dass-Satz: Die Einwohner sehen, [DASS das Heer kommt].
   — mit deutschem ACI: Die Einwohner sehen [das Heer kommen].

 

Tempus in der deutschen Übersetzung

Es gelten dieselben Regeln wie bei der Übersetzung von Partizipialsätzen (vergleiche PC).
 

(A)  beim gleichzeitigen Aktivinfinitiv (= Infinitiv Präsens Aktiv)

Beispiele bei übergeordnetem Verb der [a] Gegenwart, [b] Vergangenheit oder [c] Zukunft:
÷ [a]  Incolae sciunt [exercitum urbem dīripere].
         Die Einwohner wissen, [DASS das Heer die Stadt plündert].
÷ [b]  Incolae sciebant [exercitum urbem dīripere].
         Die Einwohner wussten, [DASS das Heer die Stadt plünderte].
÷ [c]  Incolae scient [exercitum urbem dīripere].
         Die Einwohner werden wissen, [DASS das Heer die Stadt plündern wird
         = plündert]
.

Der deutsche dass-Satz verlangt (als Subjunktionalsatz) eine finite Verbform. Da der lateinische Infinitiv gleichzeitig ist, muss im dass-Satz dasselbe Tempus gebraucht werden wie im übergeordneten Satz. Allerdings ist es im Deutschen üblich, im untergeordneten Satz das Futur wegen seiner umständlichen Bildungsweise durch ein Präsens zu ersetzen, sofern sich dadurch kein Missverständnis ergeben kann.
 

(B)  beim gleichzeitigen Passivinfinitiv (= Infinitiv Präsens Passiv)

Beispiele bei übergeordnetem Verb der [a] Gegenwart, [b] Vergangenheit oder [c] Zukunft:
÷ [a]  Incolae sciunt [urbem ab exercitū dīripī].
         Die Einwohner wissen, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert wird].
÷ [b]  Incolae sciebant [urbem ab exercitū dīripī].
         Die Einwohner wussten, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert wurde].
÷ [c]  Incolae scient [urbem ab exercitū dīripī].
         Die Einwohner werden wissen, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert
         werden wird
= geplündert wird]
.

Es gelten dieselben Regeln wie beim gleichzeitigen Aktivinfinitiv (= Infinitiv Präsens Aktiv).
 

(C)  beim vorzeitigen Aktivinfinitiv (= Infinitiv Perfekt Aktiv)

Beispiele bei übergeordnetem Verb der [a] Gegenwart, [b] Vergangenheit oder [c] Zukunft:
÷ [a]  Incolae sciunt [exercitum urbem dīripuisse].
         Die Einwohner wissen, [DASS das Heer die Stadt geplündert hat].
÷ [b]  Incolae sciebant [exercitum urbem dīripuisse].
         Die Einwohner wussten, [DASS das Heer die Stadt geplündert hatte].
÷ [c]  Incolae scient [exercitum urbem dīripuisse].
         Die Einwohner werden wissen, [DASS das Heer die Stadt geplündert
         haben wird
= geplündert hat]
.

Da der lateinische Infinitiv vorzeitig ist, muss im dass-Satz ein Tempus gebraucht werden, das zum Tempus im übergeordneten Satz vorzeitig ist:
• Vorzeitig zur Gegenwart (= Präsens) ist das Perfekt,
• vorzeitig zur Vergangenheit (= Perfekt, Präteritum, Plusquamperfekt) ist das Plusquamperfekt,
• vorzeitig zur Zukunft (= Futur, Futurperfekt) ist das Futurperfekt (= Futur II).
Allerdings ist es im Deutschen üblich, im untergeordneten Satz das Futurperfekt (= Futur II) wegen seiner umständlichen Bildungsweise durch ein Perfekt zu ersetzen, sofern sich dadurch kein Missverständnis ergeben kann.
 

(D)  beim vorzeitigen Passivinfinitiv (= Infinitiv Perfekt Passiv)

Beispiele bei übergeordnetem Verb der [a] Gegenwart, [b] Vergangenheit oder [c] Zukunft:
÷ [a]  Incolae sciunt [urbem ab exercitū dīreptam esse].
         Die Einwohner wissen, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert
         worden ist
]
.
÷ [b]  Incolae sciebant [urbem ab exercitū dīreptam esse].
         Die Einwohner wussten, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert
         worden war
]
.
÷ [c]  Incolae scient [urbem ab exercitū dīreptam esse].
         Die Einwohner werden wissen, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert
         worden sein wird
= geplündert worden ist]
.

Es gelten dieselben Regeln wie beim vorzeitigen Aktivinfinitiv (= Infinitiv Perfekt Aktiv). Außerdem ist es erlaubt, das umständliche Perfekt Passiv durch ein Präteritum Passiv zu ersetzen, also geplündert worden ist > geplündert wurde.
 

(E)  beim nachzeitigen Aktivinfinitiv (= Infinitiv Futur Aktiv)

Beispiele bei übergeordnetem Verb der [a] Gegenwart, [b] Vergangenheit oder [c] Zukunft:
÷ [a]  Incolae sciunt [exercitum urbem dīreptūrum esse].
         Die Einwohner wissen, [DASS das Heer die Stadt plündern wird/will].
÷ [b]  Incolae sciebant [exercitum urbem dīreptūrum esse].
         Die Einwohner wussten, [DASS das Heer die Stadt plündern würde/wollte].
÷ [c]  Incolae scient [exercitum urbem dīreptūrum esse].
         Die Einwohner werden wissen, [DASS das Heer die Stadt plündern wird/will].

Da der lateinische Infinitiv nachzeitig ist, muss im dass-Satz ein Tempus gebraucht werden, das zum Tempus im übergeordneten Satz nachzeitig ist:
• Nachzeitig zur Gegenwart (= Präsens) ist das Futur oder, wenn mit der Nachzeitigkeit eine Absicht gemeint ist, eine Umschreibung mit dem Präsens von „wollen“.
• Das nachzeitige Tempus zur Vergangenheit (also zum Perfekt, Präteritum, Plusquamperfekt) heißt Postpräteritum und wird mit „würde“ umschrieben („würde“ ist hier nicht als Konjunktiv, sondern als Indikativ gebraucht!). Wenn eine Absicht vorliegt, gebraucht man eine Umschreibung mit „wollte“.
• Ein nachzeitiges Tempus zur Zukunft (also zum Futur) wird nicht gebildet, da dies eine doppelte Umschreibung mit temporalem „werden“ erfordern würde (*„dass das Heer die Stadt plündern werden wird“). Stattdessen wird das gewöhnliche Futur oder eine Umschreibung mit dem Präsens von „wollen“ verwendet.
 

(F)  beim nachzeitigen Passivinfinitiv (= Infinitiv Futur Passiv)

Beispiele bei übergeordnetem Verb der [a] Gegenwart, [b] Vergangenheit oder [c] Zukunft:
÷ [a]  Incolae sciunt [urbem ab exercitū dīreptum īrī].
         Die Einwohner wissen, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert
         werden wird
/soll]
.
÷ [b]  Incolae sciebant [urbem ab exercitū dīreptum īrī].
         Die Einwohner wussten, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert
         werden würde
/sollte]
.
÷ [c]  Incolae scient [urbem ab exercitū dīreptum īrī].
         Die Einwohner werden wissen, [DASS die Stadt von dem Heer geplündert
         werden wird
/soll]
.

Beachte:  dīreptum ist hier kein deklinierbares Partizip, sondern ein unveränderliches Supinum. Es darf nicht mit dem Subjekt (hier das feminine urbem) kongruent gemacht werden. Daher wäre  *dīreptam īrī falsch!

Es gelten dieselben Regeln wie beim nachzeitigen Aktivinfinitiv (= Infinitiv Futur Aktiv), nur dass statt der Umschreibungen mit Formen von „wollen“ Umschreibungen mit Formen von „sollen“ gebraucht werden. Die doppelte Umschreibung mit „werden“ wird hier grundsätzlich akzeptiert, da nur ein „werden“ temporal ist, während das andere für Passiv steht. Wenn aber die Form „werden“ selber doppelt auftritt (z.B.: „dass die Städte von dem Heer geplündert werden werden“), ist auch dies kaum erträglich; man kann ein „werden“ durch eine auf die Nachzeitigkeit weisende Zeitangabe ersetzen (z.B.: „dass die Städte von dem Heer künftig geplündert werden“).

 

Modus in der deutschen Übersetzung

Je nach der Bedeutung des Verbs, von dem der ACI abhängt, muss in der deutschen Übersetzung des ACI Indikativ oder Konjunktiv gebraucht werden:

• Von Verben wie vidēre sehen, scīre wissen, meminisse sich erinnern, gaudēre sich freuen, cōnstat es steht fest hängen dass-Sätze ab, die eine Tatsache bezeichnen und daher im Indikativ stehen müssen. Z.B.:
÷ Incolae vident [exercitum urbem dīripere].
   Die Einwohner sehen, [DASS das Heer die Stadt plündert].

• Von Verben wie dīcere sagen, scrībere schreiben, putāre glauben, docēre lehren, pollicērī versprechen hängen dass-Sätze ab, die eine Behauptung oder Meinung ausdrücken und daher im Konjunktiv der „indirekten Rede“ stehen müssen. Z.B.:
÷ Incolae dīcunt [exercitum urbem dīripere].
   Die Einwohner sagen, [DASS das Heer die Stadt plündere].

Mehr Informationen zur lateinischen „indirekten Rede“ und den korrekten Konjunktivgebrauch in der deutschen Übersetzung findest du unter
indirekte Rede“.

• Von Verben wie audīre hören, nūntiāre melden können sowohl dass-Sätze abhängen, die eine Tatsache bezeichnen, als auch dass-Sätze, die eine Meinung oder Behauptung ausdrücken. Je nach Fall muss also Indikativ oder Konjunktiv gewählt werden. Z.B.:
÷ Incolae audiunt [exercitum urbem dīripere].
   (a) Die Einwohner hören, [DASS/WIE das Heer die Stadt plündert].
        (Sie hören die Geräusche der Stadtplünderung. Statt der
        Subjunktion „dass“ kann hier auch „wie“ gebraucht werden.)
   (b) Die Einwohner hören, [DASS das Heer die Stadt plündere].
        (Es wird ihnen von der Stadtplünderung berichtet.)
Nūntiāre melden bedeutet:
die Tatsache bekanntmachen > dass-Satz im Indikativ,
die Botschaft überbringen > dass-Satz im Konjunktiv.

• Von Verben wie velle wollen, nōlle wollen, cupere wünschen, studēre sich bemühen, spērāre hoffen hängen dass-Sätze ab, die einen Wunsch ausdrücken und daher im Deutschen ursprünglich im Wunschkonjunktiv standen; heute wird eine Umschreibung mit dem Wunschkonjunktiv von „mögen“ oder bloßer Indikativ gebraucht. Z.B.:
÷ Incolae volunt [exercitum urbī parcere].
— Mit Wunschkonjunktiv:
    Die Einwohner wollen, [DASS das Heer die Stadt verschone].
— Mit Wunschkonjunktiv von „mögen“:
    Die Einwohner wollen, [DASS das Heer die Stadt verschonen möge].
— Mit Indikativ:
    Die Einwohner wollen, [DASS das Heer die Stadt verschont].


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